01 - Nicht ohne meine Tochter
Straßen Teherans. Überall standen Polizisten mit Gewehr im Anschlag herum. Ich war sicher, sie suchten alle mich. Mir war nun klar, dass ich die Flucht, so gefährlich sie auch sein mochte, auf jeden Fall wagen musste. Mochten die Schmuggler im Nordwesten des Irans auch noch so entsetzlich und finster sein, sie konnten für mich keine ärgere Gefahr bedeuten als mein Mann. Ich war bereits beraubt, gekidnappt und vergewaltigt worden. Und Moody war sicher auch ein Mord zuzutrauen.
Als ich in die Wohnung kam, sagte Amahl: »Heute Abend geht es los.« Er zog eine Landkarte hervor und zeigte mir unsere Reiseroute, eine lange, schwierige Fahrt von Teheran nach Tabriz, dann weiter hinauf ins Gebirge, das gleichermaßen von kurdischen Rebellen und Pasdar-Streifen kontrolliert wurde. Die Kurden hatten dem Schah-Regime ablehnend gegenübergestanden, und auch den Ayatollah betrachteten sie als Feind. »Wenn jemand mit Ihnen spricht, dürfen Sie keinerlei Auskunft geben.«, warnte Amahl. »Sagen Sie ihnen nichts von mir. Sagen Sie nicht, dass Sie Amerikanerin sind. Sagen Sie nicht, was los ist.«
Es lag in der Verantwortung der Schmuggler, uns von Teheran an die Grenze und mit einer Rotkreuz-Ambulanz in die Türkei hineinzuschaffen, bis in die Stadt Van in den Bergen der Osttürkei. Von dort an sollten wir auf uns selbst gestellt sein. Wir würden weiter vorsichtig sein müssen, warnte Amahl. Wir würden die Grenze nicht an einem Kontrollpunkt überqueren, und unsere amerikanischen Pässe würden keinen Einreisestempel haben. Die türkische Obrigkeit würde bei unseren Ausweisen misstrauisch werden. Wenn sie uns erwischten, würde uns die türkische Polizei zwar nicht in den Iran zurückbringen, aber uns ganz sicher einsperren - und möglicherweise trennen. Von Van würden wir mit Flugzeug oder Bus direkt nach Ankara fahren und die amerikanische Botschaft aufsuchen. Erst dort waren wir sicher.
Amahl gab mir einen Vorrat an Münzen. »Rufen Sie mich von jeder Telefonzelle unterwegs an.«, sagte er. »Aber wählen Sie Ihre Worte mit Bedacht.« Er guckte einen Augenblick an die Decke. »Isfahan.«, sagte er, den Namen einer iranischen Stadt. »Das wird unser Kodewort für Ankara sein. Wenn Sie in Ankara sind, sagen Sie mir, Sie seien in Isfahan.« Ich wollte, dass Amahl noch blieb, um mit uns zu reden und uns Gesellschaft zu leisten. Solange er leibhaftig da war, fühlte ich mich sicher. Aber er eilte davon, um am moslemischen Sonntag die restlichen Dinge zu erledigen. War dies mein letzter Freitag im Iran? Ich betete zu Gott- zu Allah -, dass es so sein mochte.
Dann wurde ich praktisch. Was sollte ich mitnehmen? Ich sah mir den schweren Wandteppich an, den ich am Dienstag in Amahls Büro geschleppt hatte. Was ist mit mir los, dachte ich. Ich brauche ihn nicht. Ich brauche gar nichts. Nur nach Hause kommen will ich, das ist alles. Wandteppich und Safran sollten zurückbleiben. Vielleicht konnte ich den Schmuck unterwegs in bares Geld verwandeln, und die Uhr brauchte ich, um feststellen zu können, wie spät es war. Diese Dinge stopfte ich also in meine Tasche, zusammen mit einem Nachthemd für Mahtab und frischer Unterwäsche für mich. Mahtab packte Cornflakes, Kekse und einige der Malbücher in ihre Schultasche. Damit waren wir bereit. Wir warteten nur noch auf das Zeichen. Gegen sechs rief Amahl an und sagte: »Sie werden um sieben losfahren.« In einer Stunde. Nach all den Tagen, Wochen, Monaten hatten wir noch eine Stunde zu warten. Aber ich war schon häufiger enttäuscht worden. Wieder begann es in meinem Kopf zu wirbeln. Lieber Gott , betete ich, was tue ich? Bitte begleite uns. Bitte, sorge für meine Tochter, was auch geschehen mag.
Zehn nach sieben traf Amahl mit zwei Männern ein, die ich noch nie gesehen hatte. Sie waren jünger, als ich erwartet hatte, vielleicht Anfang Dreißig. Einer von ihnen, der ein paar Worte Englisch sprach, trug Jeans, T-Shirt und eine Motorradjacke. Er erinnerte mich an Fonzi aus der amerikanischen Fernsehserie »Happy Days«. Der andere, ein bärtiger Mann, trug ein Sportjacket. Auf mich und Mahtab machten sie einen angenehmen Eindruck. Wir hatten keine Zeit zu verlieren. Ich half Mahtab in ihren Manto und bedeckte mein Gesicht fast völlig mit meinem Tschador. Wieder war ich dankbar, mich hinter dem schwarzen Stoff verstecken zu können.
Ich wandte mich Amahl zu, und wir wurden beide von einer plötzlichen Gefühlswallung ergriffen. Der endgültige Abschied war
Weitere Kostenlose Bücher