01 - Nicht ohne meine Tochter
sie so etwas gesagt hatte. Auch sie spürte, dass die Zeit knapp wurde. Ich wiegte sie in meinen Armen. Die Tränen liefen uns über die Wangen, meine mischten sich mit ihren. »Mahtab, wir können jetzt nicht weg.«, sagte ich. »Aber mach dir keine Sorgen. Ich fahre nicht ohne dich nach Amerika.« Aber wie sollte ich das Versprechen halten? Konnte Moody mich schreiend und strampelnd in das Flugzeug schleppen? Wahrscheinlich ja, dachte ich, und niemand würde auch nur daran denken, ihn aufzuhalten. Er konnte mich betäuben, mich besinnungslos machen. Er bekam alles fertig.
Fereschteh kam am späten Nachmittag vorbei, um Lebewohl zu sagen. Sie wusste, dass ich zutiefst deprimiert war, und sie versuchte, mich, so gut es ging, zu trösten. Ich konnte ihr nun nichts mehr vorspielen, und auch nicht meinen anderen Freunden oder Moody. Ich konnte nicht mehr so tun, als wäre ich die glückliche moslemische Ehefrau. Wozu? Moody drängte sich auf und verlangte nach Tee. Er fragte Fereschteh nach ihrem Mann, und das führte zu neuen Tränen. Wir hatten alle unsere Probleme. Bitte, lieber Gott , betete ich, bitte, lass Mahtab und mich von Moody wegkommen. Bitte, bitte, bitte!
Hörte ich den Unfallwagen, oder fühlte ich ihn? Sah ich die blinkenden Lichter, die sich durch die Fenster an der Wand spiegelten oder träumte ich sie nur? Es war keine Sirene zu hören gewesen. Er war einfach vor der Tür eingetroffen. Er war eine überirdische Erscheinung. Ein Notfall! Moody musste ins Krankenhaus fahren. Seine Augen hielten meine fest. Ganze Ströme von Hass Frustration und Verwunderung gingen unausgesprochen in unseren Blicken von einem zum anderen. Wie konnte er ins Krankenhaus fahren und mich unbewacht zurücklassen? Was konnte ich tun? Wohin sollte ich laufen? Er zögerte einen Augenblick lang, gefangen zwischen tiefem Misstrauen zu mir und seinem Pflichtbewusstsein als Arzt. Er konnte den Notfall nicht ablehnen, aber auch nicht seine Überwachung lockern. Fereschteh ahnte sein Dilemma: »Ich bleibe bei ihr, bis du wiederkommst.«, sagte sie zu Moody. Ohne ein weiteres Wort ergriff Moody seine Arzttasche und sprang in den wartenden Notfallwagen. Er war fort. Ich wusste nicht, wann er wiederkommen würde. Fünf Stunden oder eine halbe Stunde - das hing von der Art des Notfalls ab.
Mein Verstand riss sich aus seiner Lethargie. Dies ist die Gelegenheit, um die ich gebetet hatte, sagte ich mir. Tu was! Jetzt! Fereschteh war eine gute Freundin, liebevoll und vollkommen vertrauenswürdig. Ich hätte mein Leben in ihre Hände gelegt. Aber sie wusste nichts von Amahl, nichts von den Heimlichkeiten in meinem Leben. Um ihrer selbst willen konnte ich sie nicht in diese Sache verwickeln. Ihr Mann saß im Gefängnis, weil er Gedanken gegen das Regime gehegt hatte, und das allein machte ihre Lage heikel genug. Ich durfte sie nicht noch mehr belasten. Ich ließ ein paar Minuten vergehen und spielte dabei mit einem unbestimmten Vorrat an Zeit. Und dann sagte ich, darum kämpfend, meine Stimme gelassen klingen zu lassen: »Ich muss noch für heute Abend ein paar Blumen kaufen.« Wir waren bei unserer Nachbarin Maliheh zu einem weiteren Abschiedsessen eingeladen. Der Vorwand war glaubwürdig, denn Blumen mitzunehmen, gehörte zum guten Ton. »Gut, ich fahre dich.«, sagte Fereschteh. Das war gut. Wir kamen so schneller aus unserer Straße und der Nachbarschaft heraus als zu Fuß. So schnell ich konnte, ohne hektisch zu wirken, packte ich Mahtab warm ein, und wir sprangen in Fereschtehs Auto. Sie parkte vor dem Blumengeschäft ein paar Straßen weiter, und als sie die Tür aufmachte, um uns aussteigen zu lassen, sagte ich. »Lass uns ruhig hier. Ich brauche ein bisschen frische Luft. Mahtab und ich gehen zu Fuß nach Hause.«
Selbst in meinen eigenen Ohren klang das lächerlich. Niemand hatte bei diesem Eis und Schnee das Bedürfnis nach einem Spaziergang. »Bitte, lasst mich euch fahren.«, drängte Fereschteh. »Nein, ich brauche wirklich frische Luft. Ich will zu Fuß gehen.« Ich rutschte zum Fahrersitz hinüber und umarmte sie. »Lass uns allein.«, wiederholte ich. »Fahr weiter. Und vielen Dank für alles.« Sie hatte Tränen in den Augen, als sie sagte: »Okay.« Mahtab und ich stiegen aus dem Auto und sahen zu, wie Fereschteh davonfuhr. Der kalte Wind schnitt uns ins Gesicht. Es war mir gleich. Ich würde die Kälte erst später spüren. Mahtab stellte keine Fragen.
Wir nahmen zwei verschiedene orangefarbene
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