01 - Nicht ohne meine Tochter
gekommen. »Sind Sie sicher, dass Sie dies tun wollen?«, fragte Amahl. »Ja.«, erwiderte ich. »Ich will fort.« Er hatte Tränen in den Augen, als er sagte: »Ich habe Sie beide sehr lieb!«, und dann zu Mahtab: »Du hast eine ganz besondere Mommy. Pass bitte gut auf sie auf.« »Das werde ich tun.«, sagte sie ernst. »Ich danke Ihnen für alles, was Sie für uns getan haben«, sagte ich. »Ich werde Ihnen die zwölftausend Dollar für die Schmuggler zurückzahlen, sowie wir sicher in Amerika angekommen sind.« »Ja.«, stimmte er zu. »Aber Sie haben auch so viel dafür getan.«, fügte ich hinzu. »Sie sollten auch etwas bekommen.« Amahl blickte auf meine Tochter. Sie fürchtete sich. »Die einzige Bezahlung, die ich mir wünsche, ist ein Lächeln auf Mahtabs Gesicht.«, sagte er. Dann zog er den Rand meines Tschador von meinem Gesicht und küsste mich leicht auf die Wange. »Und nun schnell!«, kommandierte er.
Mahtab und ich schlüpften mit dem jungen Mann, den ich in Gedanken Fonzi nannte, aus der Tür. Der zweite Mann blieb mit Amahl zurück. Fonzi führte uns zu einem unauffälligen Auto, das in der Straße geparkt war. Ich kletterte hinein und zog Mahtab auf meinen Schoß. Wir sausten in die zunehmende Finsternis des Freitagabends hinein, auf einem Weg mit ungeahnten Gefahren, mit unbekanntem Ziel. Jetzt ist es soweit, dachte ich. Wir schaffen es oder wir schaffen es nicht. Wir können es nur mit Gottes Willen schaffen. Wenn er es nicht will, dann hat er etwas anderes mit uns vor. Aber während wir uns durch die hupenden Autos, die zähnefletschenden Fahrer und die finster dreinblickenden, traurigen Fußgänger kämpften, konnte ich mich nicht dazu bringen, zu glauben, dass ein Leben hier das war, was Gott für uns im Sinn hatte.
Sirenen und Hupen ertönten von überall. Der Lärmpegel war normal, aber ich hatte das Gefühl, man meinte damit uns. Ich hielt mir den Tschador fest vor das Gesicht und ließ nur ein Auge frei, und dennoch fühlte ich mich auffällig und verletzlich. Wir fuhren etwa eine halbe Stunde ungefähr in die Richtung unserer Wohnung zurück in den Norden der Stadt. Plötzlich stieg Fonzi in die Bremse, bog scharf ein und steuerte das Auto in eine enge Gasse. »Bia, zud hasch! Kommen Sie, beeilen Sie sich!«, befahl er. Wir kletterten auf den Gehweg hinaus und wurden auf den Hintersitz eines zweiten Autos geschoben. Für Fragen war keine Zeit. Mehrere Fremde sprangen hinter uns herein, und wir fuhren schnell weiter und ließen Fonzi zurück. Sofort musterte ich unsere neuen Mitreisenden. Mahtab und ich saßen hinter unserem neuen Fahrer, einem Mann um die dreißig. Neben ihm saß ein etwa zwölfjähriger Junge, und auf dem »Schießposten« daneben ein weiterer, älterer Mann. Rechts neben uns auf der Mitte des Hintersitzes saß ein kleines Mädchen in Mahtabs Alter, die einen Londoner Wintermantel trug, und neben ihr eine Frau. Sie unterhielten sich in Farsi, zu schnell für mich, aber aus dem vertraulichen Ton ihrer Unterhaltung entnahm ich, dass es sich um eine Familie handeln musste. Wir waren eine Familie!, ging mir plötzlich auf. Das war unsere Tarnung. Wer waren diese Menschen? Wie viel wussten sie von uns? Waren sie auch auf der Flucht?
Der Fahrer fuhr Richtung Westen, wand sich durch die Straßen der Stadt und näherte sich einer Autobahn, die in das offene Land hinausführte. Am Stadtrand hielten wir an einer Polizeikontrollstation an. Der Inspektor guckte ins Auto und richtete dabei sein Gewehr auf unsere Gesichter. Aber er sah nur eine typische iranische Familie auf einem Freitagabendausflug, sieben in einem Auto. Er winkte uns weiter. Einmal auf der Autobahn, einer modernen, vierspurigen Straße, rasten wir schon bald mit hoher Geschwindigkeit, etwa hundertvierzig Stundenkilometer, durch die Nacht, die Frau auf dem Rücksitz versuchte, mit mir ins Gespräch zu kommen und mischte englische Brocken in ihr Farsi. Ich dachte an Amahls Warnung, niemandem von uns zu erzählen. Diese Frau sollte nicht wissen, dass wir Amerikanerinnen waren, aber offensichtlich wusste sie es doch. Ich gab vor, sie nicht zu verstehen. Sobald wie möglich tat ich so, als wäre ich eingeschlafen, um so die Bemühungen der Frau um ein Gespräch zu unterbinden. Mahtab schlief unruhig.
Ich wusste von Amahl, dass Tabriz mindestens fünfhundert Kilometer weit weg war und dass es von dort bis zur Grenze noch etwa hundertfünfzig Kilometer waren. Die anderen Mitreisenden wurden
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