01 - Nicht ohne meine Tochter
bedrohlich. Er hatte mein Geld und meinen Schmuck. Die Pässe waren mir gleichgültig, denn ohne Visa waren sie nutzlos. Wenn wir es schafften, in die Botschaft nach Ankara zu kommen, würden wir neue bekommen können. Aber was war mit meinem Geld? Meinem Schmuck? Ich machte mir nicht wegen ihres Wertes Sorgen, sondern wegen Mosehns Absichten. Andererseits war er fürsorglich und freundlich. Wie schon zuvor war er derjenige, durch den wir vorwärtskamen, meine einzige Hoffnung, in Sicherheit zu gelangen, und in mir erwachte der starke Wunsch, in ihm unseren Beschützer und Führer sehen zu können. Würde er uns auf der ganzen Flucht begleiten? »Ich bin noch nie mit jemandem über die Grenze gegangen.«, sagte er in Farsi. »Aber Sie sind meine Schwester. Mit Ihnen werde ich über die Grenze gehen.« Seltsamerweise war mir dadurch plötzlich wohler.
Nach einer Weile kam uns ein Wagen entgegen. Als beide auf gleicher Höhe waren, brachten die Fahrer ihre Fahrzeuge mit einem Ruck zum Stehen. Mosehn sagte: »Zud hasch!« Mahtab und ich kletterten auf die Straße. Ich drehte mich zu Mosehn um, in der Erwartung, dass er mit uns kommen würde. »Gib dies dem Mann in dem Wagen.«, befahl er und schob mir die Pässe in die Hand. Sein Gesicht flog vorüber, als der Fahrer auf das Gaspedal trat. Der blaue Lieferwagen war fort, und Mosehn mit ihm. Also kommt er doch nicht mit, stellte ich fest. Wir werden ihn nie wiedersehen. Der andere Wagen wendete und blieb neben uns stehen. Wir kletterten hinein. Ohne Zeit zu verschwenden, raste der Fahrer mit uns auf einer gewundenen Straße in die Berge hinauf.
Diesmal war es ein offener Wagen, eine Art Jeep. Zwei Manner saßen in der Kabine, und ich gab dem Mann in der Mitte unsere Pässe. Er nahm sie behutsam, als ob sie brannten. Keiner wollte mit unseren amerikanischen Pässen erwischt werden. Wir fuhren nur ein kurzes Stück, ehe der Wagen anhielt und der Mann in der Mitte uns bedeutete, nach hinten auf die offene Ladefläche zu klettern. Ich konnte mir nicht vorstellen, warum er uns dort draußen in der Kälte haben wollte, aber ich gehorchte. Sofort fuhren wir mit halsbrecherischer Geschwindigkeit weiter. Am Abend vorher in der Betonscheune hatte ich gedacht, dass mir nicht kälter werden könnte. Das war ein Irrtum. Mahtab und ich kauerten uns, so eng es ging, auf der offenen Ladefläche aneinander. Eisiger Wind durchfuhr uns, aber Mahtab klagte nicht. Weiter ging die Fahrt, wir holperten durch die Haarnadelkurven, wanden uns hinauf ins Gebirge. Wie viel mehr würden wir ertragen können?
Der Fahrer bog von der Straße ab und begann, quer über steiniges, holperiges Terrain zu fahren, dem Anschein nach folgte er einem Pfad. Nach etwa einem Kilometer hielt er an, und wir durften wieder vorne einsteigen. Weiter ging es, der Wagen mit Allradantrieb bahnte sich seinen eigenen Weg. Wir rumpelten an vereinzelten Hütten und verstreuten Herden von mageren Schafen vorüber. Der Mann in der Mitte zeigte plötzlich auf einen Berggipfel. Ich blickte hoch und sah in der Ferne die Silhouette eines einzelnen Mannes, der mit einem Gewehr an der Schulter auf dem Gipfel stand - ein Wachposten. Der Mann in der Mitte schüttelte den Kopf und grunzte. Während wir dahinrasten, zeigte er uns weitere Wachposten auf den umliegenden Bergen.
Plötzlich durchbrach das unverwechselbare, scharfe Fing! einer Gewehrkugel die Stille der kargen Gebirgslandschaft. Ein zweiter Schuss folgte schnell und hallte von der Gebirgswand wider. Der Fahrer hielt unseren Wagen augenblicklich an. Sein Gesicht und das des anderen Mannes wurden grün vor Angst, und ihre Furcht verstärkte meine eigene. Mahtab versuchte förmlich, in mich hineinzukriechen. Wir warteten in angespanntem Schweigen, während ein Soldat mit dem Gewehr im Anschlag auf uns zugerannt kam. Er trug eine in der Taille geraffte Khaki-Uniform. Plötzlich befanden sich unsere Pässe wieder in meiner Hand. Ohne zu wissen, was ich mit ihnen tun sollte, stopfte ich sie mir oben in einen Stiefel und wartete, Mahtab noch fester an mich drückend, ab. »Nicht den Mann ansehen.«, flüsterte ich Mahtab zu. »Nichts sagen.« Der Soldat näherte sich misstrauisch dem Wagenfenster und legte auf den Fahrer an. Mein Herz erstarrte vor Angst. Sein Gewehr auf das Gesicht des Fahrers gerichtet, sagte der Soldat etwas in einer Sprache, die mir fremd war. Während die Männer sich lebhaft unterhielten, bemühte ich mich, sie nicht anzusehen. Beide
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