01 - Nicht ohne meine Tochter
haben könnte und uns auf den Fersen war. Ich machte mir Sorgen wegen der Polizei, den Soldaten, der Pasdar. Ich machte mir Sorgen um den morgigen Tag und die teuflische Überquerung der Grenze. Wie würden sie es machen? Würden Mahtab und ich in einer Rotkreuz-Ambulanz Krankheit oder eine Verletzung vortäuschen müssen? Ich machte mir Sorgen um Dad. Mom. Joe und John. Irgendwie verfiel ich vor all den Sorgen in ein halbwaches Dösen, aus dem ich immer wieder aufschreckte.
Als es dämmerte, erschien mir die Scheune noch kälter als vorher. Mahtab zitterte heftig im Schlaf. Die Frau stand früh auf und brachte uns Tee und mehr von dem ranzigen, ungenießbaren Käse. Während wir den Tee tranken und das zähe Brot kauten, kam die Frau mit einer Überraschung zurück: Sie brachte Sonnenblumenkerne auf einem Blechtablett. Mahtab bekam vor Freude große Augen. Wir waren so hungrig, dass ich sicher war, sie würde die Kerne allesamt verschlingen. Stattdessen machte sie daraus zwei saubere Portionen. »Mommy, wir können heute nicht alle essen.«, sagte sie. »Wir müssen ein paar davon aufbewahren.« Sie zeigte auf den einen kleinen Haufen. »So viele essen wir heute, und die anderen heben wir für morgen auf.« Ihr Plan, die kostbaren Kerne zu rationieren, überraschte mich. Auch sie machte sich Gedanken über unsere unsichere Lage.
Die Frau machte sich im Hof an einem kleinen, primitiven Herd zu schaffen. Sie kochte Hühnerfleisch, zweifellos von einem der Hofbewohner, den sie selbst geschlachtet und ausgenommen hatte. Wir hatten solchen Hunger! Als das Huhn kochte und der wunderbare Duft durch die offene Tür in die Scheune trieb, kam sie wieder herein, um Sabzi zu machen. Ich setzte mich neben sie und half und freute mich auf eine warme Mahlzeit. Das Huhn war fertig, die Teller wurden auf dem Fußboden verteilt, und wir wollten uns gerade zum Festmahl niederlassen, als Mosehn kam. »Zud hasch! Zud hasch!«, kommandierte er. Die Frau stand auf, eilte nach draußen und kehrte augenblicklich mit einem Arm voll Kleider zurück. Zügig zog sie mir die schweren kurdischen Gewänder an. Es waren vier Kleider, wovon das erste lange Ärmel hatte, von denen noch ein fünfundzwanzig Zentimeter langer und etwa acht Zentimeter breiter Stoffstreifen herabhing. Die anderen Kleider zog sie darüber, zog sie mir über den Kopf und glättete die Röcke. Die äußerste Schicht war aus schwerem Samtbrokat in knalligem Orange, Blau und Rosa. Als das letzte Kleid richtig saß, wurden mir die herabhängenden Stoffstreifen fest um die Handgelenke gewickelt, sodass eine dicke Manschette entstand. Dann wurde mein Kopf ganz mit einem Stoffstreifen umwickelt, bis nur noch ein Stück seitlich herabhing. Ich war eine Kurdin. Mahtab blieb im Manto.
Mosehn sagte mir, wir würden einen Teil des Weges zu Pferd zurücklegen. »Ich habe keine lange Hose.«, sagte ich. Er verschwand kurz und kam mit einer langen schmalgeschnittenen Männerkordhose zurück. Ich schlug die Hosenbeine um und versuchte, die Hose unter den dicken kurdischen Röcken hochzuziehen. Sie passten mir kaum über die Oberschenkel, und es war nicht daran zu denken, den Reißverschluss zuzuziehen. Aber mir war klar, dass sie reichen musste. Dann gab Mosehn Mahtab und mir dicke Wollsocken. Wir zogen sie an und stiegen in unsere Stiefel. Nun waren wir bereit.
Mosehn bat um mein Geld, mein goldenes Halsband und unsere Pässe - alles, was wir noch an Wertsachen hatten, außer meiner Uhr. Es blieb keine Zeit, mir jetzt über diese Kinkerlitzchen Sorgen zu machen, die für das wirkliche Leben keine Bedeutung hatten. »Zud hasch! Zud hasch!«, wiederholte Mosehn. Wir folgten ihm, ohne einen Bissen von dem heißen Essen bekommen zu haben, aus der Scheune und kletterten in den blauen Lieferwagen. Wie zuvor fuhr der andere Mann. Er fuhr rückwärts aus dem Tor und dann auf der gleichen Gasse, auf der wir gekommen waren, aus dem kleinen Dorf hinaus und zurück auf die gepflasterte Straße. »Zud hasch! Zud hasch«, wiederholte Mosehn. Er erklärte den Plan, so gut er konnte, in Farsi und verfiel dabei gelegentlich ins Kurdische oder Türkische. Er sagte, wir würden eine Weile mit diesem Wagen fahren, dann in einen anderen Lastwagen umsteigen und schließlich in ein rotes Auto. Die Details klangen vage. Ich hoffte, dass sie besser geplant waren, als Mosehn mit seinen Worten zu sagen wusste.
Ich war immer noch über Mosehn irritiert. Sein Verhalten wirkte zuweilen
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