01 - Nicht ohne meine Tochter
Tür sah ich, wie sie den ganzen Hof mit Wasser abspritzte. Bald war sie wieder drinnen und hob die Flickenläufer und Decken vom Boden auf, faltete und stapelte sie und fegte dann den nackten Fußboden mit einem Besen aus getrocknetem Strauchwerk, das mit einem Lappen zusammengehalten wurde. Während sie arbeitete, verirrten sich ein paar Hühner in die Scheune. Die Frau scheuchte sie mit ihrem behelfsmäßigen Besen hinaus und machte weiter sauber. Was wird nun als nächstes geschehen? fragte ich mich. Werden Mosehn und die anderen Männer wirklich zurückkommen, um uns zu holen? Was weiß diese Frau von uns? Wofür hält sie uns? Sie gab uns keinen Anhaltspunkt dafür, sondern ignorierte uns, während sie ihre Hausarbeit verrichtete.
Nach einer Weile ließ sie uns kurz allein und kehrte dann mit Brot, Käse und Tee zurück. Der Käse war so scharf, dass weder Mahtab noch ich ihn essen konnten, obwohl wir sehr hungrig waren. Wir schlürften unseren Tee und würgten so viel trockenes Brot herunter, wie wir konnten. Der Abend verging in zermürbendem Schweigen und Untätigkeit. Mahtab und ich zitterten vor Angst und Kälte. Wir wussten, wie verletzlich wir waren. Jetzt waren wir wirklich verlassen, saßen irgendwo am abgerissenen Rande einer Nation, in der das Leben auch unter den besten Bedingungen primitiv war. Wenn es diesen Leuten irgendwie in den Kopf kam, uns auf irgendeine Weise auszubeuten, hatten wir keine Möglichkeit uns zu wehren. Wir waren ihnen ausgeliefert.
Wir warteten viele Stunden, bis Mosehn wiederkam. In seiner Art lag etwas beinahe Vornehmes. Mir war klar, dass es in meiner Hilflosigkeit nur natürlich war, mich zu jedem hingezogen zu fühlen, der eine Beschützerrolle übernahm. Es war traurig und erschreckend, Amahl zurückgelassen zu haben. Zuerst hatte ich vor der Frau im Auto Angst gehabt; dann hatte ich mich auf sie verlassen. Jetzt war es Mosehn. Mein Leben - und Mahtabs - lag in seinen Händen. Ich wollte mich bei ihm sicher fühlen. Ich musste mich bei ihm sicher fühlen.
»Was haben Sie in Ihrer Tasche?«, fragte er. Ich leerte sie aus. Mahtabs Malbücher, unsere wenigen Kleidungsstücke, Schmuck, Geld. Münzen von Amahl für das Telefonieren, unsere Pässe legte ich auf den kalten Steinboden. »Bedebman.«, sagte Mosehn. »Geben Sie es mir.« War er doch nur ein Dieb?, fragte ich mich. Beraubte er uns hier und jetzt? Es gab keine Widerrede. Es gelang mir nur, ihm mitzuteilen, dass ich meine Armbanduhr behalten wollte, »für die Zeit«. Alles andere übergab ich ihm einfach. Mosehn machte daraus saubere kleine Häufchen und durchstöberte sie. »Morgen«, sagte er in Farsi, »müssen Sie so viele Kleider anziehen, wie Sie können. Alles andere lassen Sie hier.« Er befingerte meine beiden Perlenketten und ein Perlenarmband und steckte sie sich dann in die Tasche. Im Versuch, ihn zu besänftigen, suchte ich mein Make-up zusammen und gab es ihm auch noch. »Schenken Sie es Ihrer Frau.«, sagte ich. Hatte er eine Frau? Er machte einen Haufen aus meinem Geld, unseren Pässen und meinem goldenen Halsband. »Behalten Sie die heute Nacht«, sagte er. »Aber ich muss diese Sachen haben, bevor wir uns auf den Weg machen.« »Ja.«, stimmte ich schnell zu. Er sah sich ein Schulbuch an, das Mahtab mitgenommen hatte. Es war ihre Farsi-Fibel. Als er es in seinen Mantel gleiten ließ, füllten sich Mahtabs Augen mit Tränen. »Das will ich mitnehmen.«, weinte sie. »Ich gebe es dir wieder.«, sagte Mosehn. Der Mann wurde mir mit jeder Minute rätselhafter. Er war freundlich, aber seine Worte und Taten ließen uns keine Möglichkeit einer Wahl. Er lächelte uns väterlich herablassend zu, doch in seinen Taschen steckten meine Perlen. »Ich komme morgen wieder.«, sagte er. Dann ging er in die dunkle, kalte Nacht hinaus.
Die Frau kehrte zurück und machte alles zum Schlafen bereit. Die Decken, die sie sauber in einer Ecke aufgestapelt hatte, wurden nun zu Betten für uns, für die Frau, ihren finster dreinblickenden Mann und das Baby ausgelegt. Es war spät, und Mahtab und ich kuschelten uns der Wärme halber auf einem der Flickenläufer eng aneinander und nahe an den Ofen. Sie fiel endlich in einen unruhigen Schlaf. Erschöpft und vor Kälte zitternd, hungrig und von Sorgen gequält, lag ich neben meiner Tochter. Ich machte mir Sorgen, dass unsere Decken am alten Ofen Feuer fangen könnten. Ich machte mir Sorgen, dass Moody auf irgendeine Weise von unserer Flucht erfahren
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