01 - Nicht ohne meine Tochter
komme.«, sagte er. Ich war bereit aufzubrechen, sowie er zur Tür hereinkam, aber Reza bestand darauf, sich Zeit zu lassen. Er zog einen Salonpyjama an, trank Tee, aß Obst und unterhielt sich ausgiebig mit seiner Mutter, Ameh Bozorg. Sein Abschiedsritual mit Küssen, Umarmungen und Plaudern dauerte eine volle Stunde.
Es war lange nach Mitternacht, als wir endlich aufbrachen und die paar Minuten Richtung Süden zu dem zweistöckigen Haus an einer kleinen Gasse fuhren, das Reza gemeinsam mit seinem Bruder Mammal besaß. Reza und Essey wohnten unten mit ihrer dreijährigen Tochter Mary am und ihrem vier Monate alten Sohn Mehdi. Mammal und seine Frau Nasserine und ihr Sohn Amir wohnten oben. Als wir ankamen, war Essey hektisch mit Saubermachen beschäftigt, was Rezas Verzögerungstaktik erklärte. Sie hatten überhaupt nicht mit Besuch gerechnet und sich ganz auf Ta'arof verlassen. Trotzdem hieß Essey uns freundlich willkommen. Es war so spät, dass ich sofort in unser Schlafzimmer ging und ein Nachthemd anzog. Ich versteckte mein Geld und mein Adressbuch unter der Matratze. Dann, nachdem Mahtab ins Bett gesteckt war und schlief, leitete ich die nächste Phase meines Planes ein.
Ich rief Moody zu mir ins Schlafzimmer und berührte ihn leicht am Arm. »Ich liebe dich, weil du uns hierher gebracht hast.«, sagte ich. Er legte seine Arme sanft um mich und suchte Ermunterung. Es war sechs Wochen her. Ich schob mich an ihn heran und hob mein Gesicht, um mich küssen zu lassen. In den nächsten paar Minuten musste ich mir alle Mühe geben, mich nicht zu übergeben, aber ich schaffte es dennoch irgendwie, Vergnügen vorzutäuschen. Ich hasse ihn! Ich hasse ihn! Ich hasse ihn!, wiederholte ich stumm während des schrecklichen Aktes. Doch als es vorbei war, flüsterte ich: »Ich liebe dich.« Ta'arof!!!
Am nächsten Morgen stand Moody früh auf und duschte, um, wie es das islamische Gesetz forderte, alle Spuren von Sex vor dem Gebet abzuwaschen. Die laute Dusche war für Reza und Essey und auch für Mammal und Nasserine ein Stockwerk höher das Zeichen, dass Moody und ich uns gut verstanden. Das stimmte natürlich überhaupt nicht. Sex mit Moody war nur eines von vielen unangenehmen Erlebnissen, die ich im Kampf für die Freiheit durchstehen musste, das war mir klar.
An unserem ersten Morgen bei Reza und Essey spielte Mahtab mit der dreijährigen Maryam und deren großer Spielzeugsammlung, die ihr die in England lebenden Onkels geschenkt hatten. Maryam hatte sogar eine Schaukel hinten im Hof. Der Hof war eine kleine abgeschiedene Insel inmitten der von Menschen wimmelnden Stadt. Umgeben von einer drei Meter hohen Ziegelsteinmauer, umschloss er nicht nur die Schaukel, sondern auch eine Zeder, einen Granatapfelbaum und viele Rosenstöcke. Weinstöcke rankten an den Backsteinmauern empor. Das Haus selbst lag mitten in einem Block trister, gleichförmiger Wohnungen, die alle durch gemeinsame Mauern verbunden waren. Jedes Haus hatte einen Hof in gleicher Größe und Form wie dieses. An der Rückseite der Höfe verlief ein ebensolcher Block von Reihenhäusern.
Essey war in mancher Hinsicht eine weit bessere Hausfrau als Ameh Bozorg, auch wenn ein solcher Vergleich nur relativ war. Obwohl sie den vergangenen Abend mit Putzen zugebracht hatte, war ihr Haus, gemessen an amerikanischen Vorstellungen, immer noch schmutzig. Überall liefen Kakerlaken herum. Immer, wenn wir unsere Schuhe anziehen wollten, um nach draußen zu gehen, mussten wir zuerst die Insekten herausschütteln. Die allgemeine Unordnung wurde noch durch Uringestank betont, denn Essey ließ das Baby Mehdi ohne Windeln auf dem Teppich liegen, sodass er sich dort jederzeit erleichtern konnte. Essey entfernte zwar die Haufen schnell, aber der Urin sickerte einfach in den Perserteppich hinein.
Vielleicht weil ihm der Gestank zu viel wurde - obwohl er das nie zugegeben hätte -, nahm Moody Maryam, Mahtab und mich am ersten Morgen in einen nahegelegenen Park, ein paar Häuserblocks entfernt, zu einem Spaziergang mit. Er war nervös und wachsam, als wir aus der Eingangstür in einen engen Seitenweg traten, der zwischen den Häusern und der Gasse verlief. Er blickte um sich, um sicher zu sein, dass uns niemand beobachtete. Ich versuchte, ihn zu ignorieren, und sah mir die Einzelheiten meiner neuen Umgebung an. Das Muster dieses Blocks - zwei Reihen Häuser mit Flachdächern, zwischen Höfe gezwängt - wiederholte sich immer wieder, soweit ich blicken konnte.
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