01 - Schatten der Könige
verwandelte sich die Ebene in einen Ort des Grauens. Der sorgfältig geplante Angriff geriet ins Stocken, als einige von Yarrams Männern abstiegen und den niedergemetzelten Zivilisten zu Hilfe eilten. Bardow sah, wie ein junger Ritter weinend eine Frau in den Armen hielt, die er Sekunden zuvor aufgespießt hatte. Ein anderer versuchte vergeblich, das Blut zu stillen, das aus einer tiefen Schwertwunde am Hals eines alten Mannes sprudelte.
Eine Hand packte ihn grob an der Schulter und als sich Bardow umdrehte, sah er den blutbespritzten Yarram vor sich.
»Wie konnte das passieren, Hexer?«, knurrte der Mann ihn an. »Raus damit, bei Der Mutter!« Bardow schaute ihn mit kalter Wut an. »Ein Schamane der Mogaun steckt hinter diesem Gräuel«, erwiderte er. »Lasst Eure Männer wieder aufsitzen, Rul. Dies hier schreit nach Vergeltung!« Yarram erwiderte seinen harten Blick einen Moment, nickte dann knapp und ritt los, um seine Ritter aufzurütteln. Bardow suchte Guldamar und Terzis, die sich um Verwundete kümmerten. Er rief sie wortlos und gebieterisch an, und wenige Augenblicke später saßen sie wieder auf ihren Pferden und ritten an seiner Seite. Terzis war blass und zitterte. Ihre Augen schwammen in Tränen, und ihre Hände umklammerten die Zügel so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Sie schien keine Worte zu finden. Anders dagegen Guldamar.
»Ich habe noch nie … etwas derartig Barbarisches …«Der junge Magier rang nach Worten. »Und ich weiß, wo er ist…«
»Im mittleren Turm«, sagte Bardow. »Er beobachtet uns gerade, und ich kann seine Freude fühlen.« Sie drehten sich gemeinsam herum und betrachteten die Stadt, die Mauern und den mittleren der drei viereckigen Türme. Jubel und Hohngesänge waren schwach über den Schreien und dem Stöhnen der Verwundeten zu hören. Bardow spannte seine Sinne an, schloss alles andere aus und konzentrierte sich mit gesenktem Kopf auf den Gedankengesang der Kadenz, machte dessen Elemente und kreisende Form zur Achse seiner Versenkung.
Wie ein Gesang, der aus seinem Blut und seinen Knochen aufstieg, wie ein Feuer, das sich aus seinem Herzen und seinem Verstand speiste, wuchs der Gesang in seiner Brust und stieg in seine Kehle. Undeutlich nahm er wahr, dass seine Gefährten dasselbe Ritual ausführten, als die Magie voll erblühte, und er den Zauber nicht mehr länger zurückhalten konnte. Sein aufgestauter Zorn brach in einem einzigen, lautlosen Schrei aus ihm heraus, aus dem sich der Klang der Kadenz formte. Einen Moment später folgten ihm Guidamars und dann auch Terzis' Zauber. Die Luft schien sich zu verzerren, der Boden wurde aufgerissen und Steine emporgeschleudert, als dieser dreifache Schrei von Macht durch die Luft fegte.
Unsichtbar flog er über das freie Feld. Einen Moment schien alles erwartungsvoll innezuhalten, dann traf der Zauber den Turm. Das Gebäude hielt eine Weile stand, während der Mörtel aus seinen Fugen flog, und Dachziegel herunterstürzten. Doch dann gab das Gebäude nach, wie der Spielzeugturm eines Kindes, neigte sich und stürzte schließlich in sich zusammen, während die herabfallenden, tonnenschweren Trümmer aus Holz und Stein gewaltige Staubwolken aufwirbelten. Ein großes Stück des Turmes stürzte zur Seite und fiel auf einen Teil der Bastion, zerquetschte Dutzende der Söldner, welche die Zinnen besetzten, und schlug eine Bresche in die Mauer. Auf der anderen Seite riss ein Stück des Turmes ein großes, hölzernes, doppelflügeliges Tor ein. Yarram erkannte sofort seine Chance und führte seine Ritter in einem stürmischen Angriff auf die unbewachte Rampe zu. Bardow erreichte sie vor ihm, trieb sein Pferd über die zersplitterten Reste und schwang seinen Stab gegen das knappe Dutzend verbliebener, benommener Söldner. Mit lautem Hufgetrappel galoppierte er über die gepflasterte Straße und sah sich mit stechendem Blick um. Als der Turm anfing, sich zu neigen, hatte Bardow eine dürre Gestalt aus einem der unteren Fenster springen sehen. Nachdem der Gedankengesang der Kadenz verbraucht war, sagten ihm seine geschärften Sinne, dass der Schamane der Mogaun noch lebte und in den Süden der Stadt flüchtete. Bardow folgte dem Hexer, während in seinem Kopf die Bilder der unschuldig Niedergemetzelten kreisten und der Wunsch nach Rache sein Herz erfüllte.
Die Straße stieg in Richtung des Burgfrieds von Hojamar und des niedrigen Sattelkamms an, auf dem sie vor Jahrhunderten als Trutzburg errichtet worden war. Während
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