01 - Schatten der Könige
Junge recht hatte. Sie sammelte sich, beugte sich über Nerek und zog sie sanft auf die Füße. Ihr Gesicht war nun wieder vollständig das vertraute Antlitz einer jungen Frau, aber immer wieder liefen dunkle Wellen darüber. Ihre Augen waren gerötet von Tränen und ihr Blick starr vor Angst. »Möge Die Mutter über dich wachen«, sagte Babrel heiser.
Suviel nickte nur, schlang ihren Arm um Nereks Hüfte und führte sie unter dem schweren Segeltuchvorhang hindurch in die nächtliche Stadt.
22
KÖNIG ALOBRIN:
Was sollen wir tun? Wie können wir diese grauenvolle, schleichende Nacht überleben?
DER GROSSE VERWALTER:
Wenn Ihr die Dunkelheit nicht nutzt, Sire, wird die Dunkelheit Euch benutzen.
GUNDAL, Der Kreis der Nacht, Akt I, i, 18
Das nördliche Ende von Gronanvel, dem Großen Tal, lag unter einem Regenschleier, einem unaufhörlichen Nieselregen, der sämtliche Kleidungsstücke durchdrang und das Gesicht mit feinen Tropfen benetzte. Den zweihundertfünfzig Reitern, die in nordwestlicher Richtung an den Gestaden des Unglin-Sees entlangritten, war diese Widrigkeit allerdings mittlerweile bestens vertraut. Für Erzmagier Bardow jedoch blieb sie ein steter Quell zähneklappernden Ungemachs. Seit drei Tagen zeigte sich das Wetter unbarmherzig kalt und nass, auf dem ganzen Weg von Krusivel zum versteckten Lager in der Nähe von Vanyons Furt bis durch Gronanvel hindurch in Richtung Nordwesten. Als er jetzt die von der Feuchtigkeit glitschigen Zügel in den von der Kälte gefühllosen Händen hielt und seine durchnässte Kleidung an seiner Brust, den Armen und Beinen klebte, sehnte er sich nach seiner warmen, trockenen Kammer in Krusivel zurück, und dem tröstlichen Geruch von Pergament, Kerzen und Ingredienzien …
Er seufzte und schüttelte den Kopf. Was für ein armseliges Bild du abgibst, Erzmagier, dachte er. Du versenkst dich in deine eigenen, unbedeutenden Klagen, während andere sich darauf vorbereiten, zu kämpfen und zu sterben. Wie erbärmlich und selbstsüchtig. Bestimmt ist Argatil weit entschlossener und überzeugter gewesen, als er mit dem Kaiser nach Arengia ritt.
Die Kolonne ritt langsamer, als der Pfad sich zwischen dichtem Unterholz und einem zerklüfteten Felsen, der bis in den Unglin reichte, zu einem schmalen Pass verengte. Bardow blickte hinauf zu den Klippen, den Wipfeln und dem grauen Himmel, und kostete den Regen, der ihm das Gesicht hinunter auf die Lippen rann. Er schmeckte sauber und beinahe ein wenig süß. Er lächelte, als er sich an die Vorliebe des Erzmagiers Argatil für reichhaltiges Essen, feinen Wein und gute Gespräche erinnerte. Vielleicht war seine schicksalhafte Reise nach Norden weniger bedrückt gewesen, als er es sich vorstellte. Immerhin wurde der Kaiser damals von den besten und kühnsten Kriegern des ganzen Reiches begleitet, Mazaret eingeschlossen, ebenso wie der Erzmagier und der Vater Baum selbst. Der Triumph musste ihnen sicher erschienen sein. Erst als sie das Plateau von Arengia bereits vor Augen hatten, war die Kunde von der vernichtenden Niederlage der Nordarmee am Moor der Stelen zu ihnen gedrungen. Korregan hatte gewiss für den Sieg seiner Westarmee gebetet, hatte jedoch nicht mehr lange genug gelebt, um von ihrem Untergang am Pass der Wolfsschlucht zu erfahren.
Wir dagegen, dachte Bardow, ziehen in eine Schlacht, die wir doch nur sicher zu gewinnen glauben, weil der Feind seine ganze Stärke noch nicht in die Waagschale geworfen hat.
Sejeend war ihr Ziel. Während diese zweihundertfünfzig Ritter durch Gronanvel auf die Hauptstadt Roharkas zuritten, näherten sich Mazaret und Kodel aus dem Süden mit einer gemischten Streitmacht aus Hilfstruppen aus Oumetra und etwa dreihundert Jäger Kinder n. Oumetra hatte man in den Händen des dortigen Rebellenführers und seiner Leute zurückgelassen. Sie wurden von einer großen Horde wilder Krieger verstärkt, die frisch von den Ogucharn-Inseln eingetroffen war.
Es war ein gefährliches Spiel. Die vereinzelt aufflammenden Aufstände, die durch die Revolte in Oumetra ausgelöst worden waren, hatte man blutig niedergeschlagen. Nur in Ost-Kejana und Teilen Cabringas gewann die Rebellion an Boden. Also hatten Mazaret und Kodel den ursprünglichen Plan aufgegeben, nur die Gebiete südlich des Großen Tales zu halten, und stattdessen beschlossen, die Länder östlich einer Linie zu vereinen, welche Oumetra und Sejeend verband. Dafür musste jedoch Sejeend zurückerobert und vor allem gehalten werden.
Bardow lachte
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