01 - Schatten der Könige
Mein Meister hätte wenig Verwendung für einen geistlosen Krüppel.« Tauric fröstelte. »Was habt Ihr mit mir vor?«
»Wir wollen dasselbe wie du: Das Kaiserreich in seiner früheren Größe auferstehen lassen. Und den Kaiser mit der Macht des Baumes wiedervereinigen. Nur mein Meister, der Herr der Flammen, kann dir das gewähren. Während wir uns unterhalten, sammelt sich eine große Armee in Khatris. Sie wird die südlichen Aufständischen vernichten und das letzte Ungeziefer der Erden Mutter vom Angesicht der Welt hinwegfegen. Mit dir an ihrer Spitze, unter dem Banner des Feuer Baum es, wird es keinen Widerstand geben.«
»Und wenn ich das nicht will?«
Seftal schüttelte in gespieltem Mitleid den Kopf. »Du missverstehst mich. Du hast dabei keine Wahl.« Coireg kniete sich hin und kroch näher zu dem alten Mann. »Seftal, ich bin ein bisschen müde und benommen…« Seine Stimme klang in Taurics Ohren belegt. »Wenn wir bald weiterreiten, könnte ich etwas gebrauchen, was mich aufweckt, mich erfrischt und…«
Seftal antwortete nicht, und Coireg beugte sich auf eine Hand gestützt vor. Er ließ den Kopf ein wenig hängen. »Ich brauche nicht viel, nur einen Schluck.« Jetzt bettelte er. »Ich habe doch alles getan, was du von mir verlangt hast, stimmt's? Verdiene ich nicht einen kleinen…?«
»Einverstanden«, erwiderte Seftal und zog eine schmale Phiole aus seinem ledernen Übermantel. »Danach gibt es nichts mehr, bis wir unser Ziel erreichen.«
Coireg nickte hastig, nahm die Phiole entgegen, zog den Korken heraus und setzte sie an die Lippen. Er schluckte den Inhalt mit einem Zug, hustete, holte bebend Luft und gab Seftal dann die Phiole zurück. Tauric beobachtete das Schauspiel angewidert und fasziniert zugleich und bemerkte, dass Seftal ihn aus den Augenwinkeln musterte. Der alte Mann grinste gelassen und boshaft, als wollte er sagen: So wirst auch du enden.
Coireg lachte leise, legte den Kopf in den Nacken, holte tief Luft und starrte in den Himmel. Dann erhob er sich mit einer mühelosen Bewegung. »Ah, das ist viel besser. Weißt du, Seftal, mein Freund, wenn du mehr von diesem Trank mitgebracht hättest, brauchtest du nicht so knauserig damit zu sein.« »Wohl wahr, aber dann brauchtest du immer mehr und mehr, um seine Vorzüge zu genießen. Das ist nicht ratsam angesichts des enormen Preises für die Essenz.« Seine Stimme klang scharf, als er fortfuhr. »Und sprich nicht so laut.«
Coireg lehnte sich mit übertriebener Gelassenheit an einen Baum. »Es ist ein großer Wald. Vielleicht hilft meine andere Stimme unseren Freunden ja, uns zu finden …«
»Das ist unwahrscheinlich«, unterbrach ihn eine andere Stimme. »Denn ich habe sie alle getötet.« Erschreckt fuhr Tauric herum und sah, wie Kodel mit gezücktem Schwert hinter einem dichten Schleier aus Kletterpflanzen hervortrat. Er atmete schwer und blutete aus einer Vielzahl von Wunden an Gesicht, Armen und Händen. Seine wattierte Rüstung war an verschiedenen Stellen aufgerissen, doch sein Säbel glänzte kampfbereit, und seine Miene glühte vor Zorn.
»Übergebt mir den Jungen, dann sorge ich dafür, dass Ihr gerecht gerichtet werdet«, grollte er. »Was für eine Zuversicht«, erwiderte Seftal und stand auf. Mit einer Hand packte er Tauric am Kragen, und riss ihn mit erstaunlicher Kraft auf die Füße. »Keiner von deinesgleichen ist in der Lage, uns zu richten. Coireg, erledige ihn.«
»Liebend gern.«
Kodel trat auf die Lichtung. Sein harter Blick war auf Seftal gerichtet. Coireg trat ihm in den Weg und täuschte mit seinem Schwert, einem geraden, schlanken Rapier, Schlag an. Als er danach einen Hieb gegen den Kopf des Sentinels führte, glaubte Tauric, der Mann wäre verloren. Doch Kodel wich dem Schlag geschickt aus und machte einen Ausfallschritt auf Coireg zu. Er packte den jüngeren Mazaret am Oberarm, brachte ihn mit einem Ruck aus der Balance und trat ihm gleichzeitig die Beine unter dem Körper weg. Als Coireg zu Boden stürzte, versetzte Kodel ihm einen harten Schlag mit seinem Schwertgriff auf den Kopf. Dann richtete er sich auf.
»Lass den Jungen los, du räudiger Hund!«, sagte er zu dem alten Mann.
Seftal lachte nur und streckte ihm seinen freien Arm entgegen. Grelles, smaragdgrünes Licht zuckte aus seinen Fingerspitzen und bildete ein unregelmäßiges Netz. Es sprang über die Lichtung und umhüllte Kodel. Der Sentinel stolperte zurück, schrie vor Schmerzen auf und sank auf die Knie. Das lebendige Flechtwerk
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