01 - Schatten der Könige
und Schuppen näherten. Keren wich unwillkürlich weiter in den Schatten zurück, als sie die roten Gewänder der Priester des Feuer Baum es erkannte. Sie hatten dieses riesige Flüchtlingslager wie ein tödliches Ungeziefer befallen und zerrten Menschen fort, um ihnen den Zehnten oder ihre Lebensmittel abzunehmen, sie zu verhören oder sie vor ein Standgericht zu stellen. Sie waren jedoch nicht die Einzigen, die versuchten, die Macht an sich zu reißen. Keren hatte verschiedene Banden von Jugendlichen und Bettlern gesehen, und auch gelegentlich ein Söldnerkommando, die alle willkürlich ihre Gebiete in dem Lager abgesteckt hatten. Regelmäßig kam es zu kleineren Scharmützeln, aber die Priesterschaft des Feuer Baum es gewann unübersehbar an Einfluss. Vor allem durch die Vorräte an Getreide und Gemüse, die sie von woher auch immer heranschafften und nach Gutdünken verteilten.
Das Auftauchen der Priester zum jetzigen Zeitpunkt konnte kein Zufall sein. Keren war davon überzeugt, dass sie mit den Mogaun im Bunde waren. Das jährliche Blut-Fest in Arengia hatten die Schamanen der Clans und die Abgesandten der Mogaun-Häuptlinge, zumeist die zweit- oder Drittgeborenen Söhne, bisher dafür genutzt, ihre Rituale abzuhalten. Dieses Jahr jedoch versammelten sich ganze Horden von Kriegern in den Wäldern von Nord-Khatris und plünderten alles, was auf ihrem Weg lag. Die meisten Flüchtlinge in diesem Lager stammten aus den zerstörten Städten und Dörfern von Zentral-Khatris.
Keren beobachtete, wie die Priester die beiden alten Männer fortschleppten, schlich dann an der zerfallenen Mauer entlang, stieg über Kehrichthaufen hinweg, auf denen bereits Gras wuchs, wich größeren Gruppen von Flüchtlingen aus und versuchte, unbemerkt im Schatten zu bleiben. Wann immer sie stehen blieb, um den Weg zum Zelt des Heilers zu erfragen, zog sie misstrauische Blicke auf sich. Eine in die Jahre gekommene Kokotte hockte im Windschatten eines umgestürzten Karrens und hörte ihr zu. Dann stierte sie auf Kerens geflicktes, schmutziges Wams und ihre abgeschabten Stiefel. Ihr Mund verzog sich zu einem zahnlosen Grinsen.
»Das sind aber feine Schuhe, Soldatenliebchen. Würden meinen Füßen gut tun, das würden sie wohl.« »Aye, Alte, und es sind die einzigen Stiefel, die ich besitze.« Keren hockte sich hin und senkte die Stimme. »Sag, wann hast du das letzte Mal Käse gekostet?«
Das Gesicht der alten Frau verzog sich vor Gier. »Nicht seit…« Dann runzelte sie die Stirn. »Du treibst grausame Scherze mit mir!«
Keren schüttelte den Kopf, nahm ein kleines Wachspäckchen aus ihrer Tasche und hielt es der Frau hin. Die packte gierig danach und wickelte eine winzige Portion des weichen, gelblichen Käses aus, kaum größer als ihr Fingernagel. Geziert kostete sie davon, und ihr faltiges Gesicht verzerrte sich vor Freude, während sie sich leicht von einer Seite zur anderen wiegte.
»Ah, ja! Ja! Cabringanischer Käse aus … aus dem nordwestlichen Flecken, nehme ich an.« Keren lächelte. »Das schmeckst du, ja?«
»Ich besaß einmal eine Taverne an der Hohen Straße nach Yular, Mädchen«, sagte sie mit zusammengekniffenen Augen. »Damals, bevor die Mogaun in unser Land einfielen. Oh, wir hatten sie alle zu Gast, vornehme Herren, Kaufmannsbarone …«
»Ich habe hier noch einen Honigstab, Mütterchen …« Die alte Frau streckte verlangend die Hand danach aus, doch Keren hielt die Süßigkeit gerade außerhalb ihrer Reichweite. »Vorher sagst du mir, wo sich das Zelt des Heilers befindet.«
»Ach, das. Es liegt weiter die gewundene Straße hinunter, nach Westen. Geh nicht den östlichen Weg hinab. Er führt an den Feuerpriestern vorbei, verflucht sollen sie sein!« Sie knabberte an dem Käse. »Die meisten Heiler und Kräuterkundigen sind weit unten. Dort, wo die Söldner ihr Lager aufgeschlagen haben.«
Keren nickte und hielt ihr den Honigstab hin, den die Frau ihr augenblicklich aus der Hand riss. »Mh, süß. So süß. Die haben wir auch in meiner Taverne verkauft. Dazu Minztaler aus Jefren, und frisch gebackene Ranzenbrote, und Langäpfel aus Honjir und …« Das alte Weib hielt inne und starrte auf den von Speichel triefenden Honigstab. Nach einer Sekunde ließ sie ihn fallen und schlug die Hände vor ihr Gesicht. »Vorbei, alles vorbei. All die köstlichen Speisen, meine Männer, meine Kinder. Verflucht seien die Mogaun und ihr Blutfest! Und verflucht seist auch du, weil du mich daran erinnert hast. Geh weg, geh
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