01 - Schatten der Könige
übermannte und er sich schlafen legte. Er löschte die Fackel, die er in die Bodendielen neben sich gesteckt hatte, und zog sich die Decke über den Kopf. Kurz darauf schlummerte er ein.
Er träumte, dass er mitten in der Nacht vor einem brennenden Baum stand, dessen Flammen qualvoll verzerrte Gesichter waren.
Rette sie!,
rief ihm eine Stimme zu.
Rette
sie.' Er drehte sich um und sah in einem Standspiegel das Bildnis seines Vaters, des Herzogs von Patrein. »Wie soll ich das tun?«, fragte Tauric klagend. »Ich habe keine Macht.« Der Herzog schüttelte den Kopf und deutete mit der Hand auf ihn. Tauric blickte an sich hinab und sah, dass er zwei Arme besaß, doch sie bestanden aus glänzendem Metall. Dann stürmte eine Gruppe gesichtsloser Krieger hinter einem Baum hervor und auf ihn zu. Als sie angriffen, schlug Tauric sie mit seinen glänzenden Händen zu Boden, wo sie in polternde Teile leerer, rostiger Rüstungen auseinanderbrachen. Doch weitere Ritter griffen ihn an, drängten sich dicht um ihn und verwickelten ihn in ein Handgemenge.
Rette sie! Rette sie!,
rief derweil der Herzog erneut, aber Tauric hatte eine Hand um den Hals eines seiner Angreifer gelegt und riss ihm mit einem heftigen Ruck den Helm vom Kopf. Eine Frau kam darunter zu Vorschein, mit langem, blonden Haar, das über ihre Schultern fiel und Augen, die wie eisiges Sternenlicht leuchteten. Sie war wunderschön. Ihr Blick traf ihn bis ins Mark, und auch sie rief:
Rette uns! Rette uns!
Aber etwas hielt seine Schulter fest…
Das sanfte Schütteln weckte ihn auf, und er sah Coiregs blasses Gesicht vor sich. Der Späher legte einen Finger an die Lippen, bevor Tauric ihn ansprechen konnte.
»Was?«, flüsterte er nur.
Der Mann sah sich in dem Raum um. Der schwache Schein des verlöschenden Kaminfeuers und zwei Fackeln spendeten spärliches Licht, und nur das Schnarchen der Männer störte die Stille. »Ihr müsst etwas über Kodel und die Jäger Kinder wissen«, murmelte er. »Ich wollte es Euch schon früher sagen, aber ich musste warten, bis es Zeit für meine Wache war.«
»Und? Worum handelt es sich?«
»Das sage ich Euch draußen.« Coireg richtete sich auf. »Nur um sicherzugehen, dass uns niemand belauscht.«
Zitternd folgte Tauric Coireg ins Freie. Der nächtliche Himmel war bewölkt, und es war eiskalt. Der Späher bedeutete ihm mit einem Winken, ihm nachzukommen, und Tauric ging hinter ihm her, an der Seite des ehemaligen Forts über einen Pfad aus zerborstenen Schieferplatten und dem dichten Unterholz vorbei. An einer Mauerecke trat eine Gestalt aus den Schatten. Es war Coiregs Diener Seftal.
»Gut, dass Ihr gekommen seid junger Herr«, sagte der Diener. »Alles ist, wie es sein sollte.« Ein stechender Schmerz durchzuckte Tauric, als ihn ein Hieb am Hinterkopf traf, und seine Beine gaben unter ihm nach. Die Welt drehte sich und erlosch zu einem grauen Nichts.
Als er wieder zu sich kam, pochte es heftig hinter seiner Stirn. Er schmeckte Blut in seinem Mund, und sein Schädel dröhnte im selben Rhythmus wie seine schlaff pendelnden Arme. Jemand trug ihn über der Schulter. Im nächsten Moment hörte er zwei Stimmen.
»… sind sie? Wir hätten längst auf sie treffen müssen!«
»Hör aufzujammern.« Das war der Alte, Seftal. »Wir sind jetzt weit genug von der Mühle weg. Hier, an diesem Baum, das genügt. Sie werden uns finden, nur keine Angst.«
Einige Schritte später fühlte Tauric, wie er heruntergelassen und auf einen unebenen Boden gelegt wurde. Er hielt die Augen geschlossen und hörte nur die Geräusche seiner Häscher, die sich neben ihm zu Boden setzten. Dann sprach Coireg.
»Eigentlich müssten die anderen mittlerweile längst bei uns sein. Als wir gingen, klang es nach einem heftigen Kampf.«
»Sie werden so lange bleiben, wie es braucht, ihre Aufgabe zu erfüllen.« Seftal klang zuversichtlich. »Wenigstens wird keiner dieser Häretiker Gelegenheit haben, sich Gedanken über den Aufenthalt unseres jungen Gastes zu machen. Der, falls ich mich nicht sehr irre…«Ein scharfer Schlag traf Tauric ins Gesicht, und er schrie auf.»… wach ist. Setz dich hin!«
Tauric richtete sich auf und rutschte zurück, bis er mit dem Rücken an dem Baum lehnte. In dem schwachen Licht des bevorstehenden Sonnenaufgangs wirkte das hagere Gesicht des alten Mannes wie ein Totenschädel, und seine Augen glühten boshaft.
»Es freut mich, dass der ungeschickte Hieb meines Gefährten deinen Verstand nicht vollkommen zerschlagen hat.
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