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01 - Schatten der Könige

01 - Schatten der Könige

Titel: 01 - Schatten der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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…!«
    Mitleid überkam Keren. Sie stand hastig auf und ging weiter nach Westen. Sie blieb noch einmal stehen und sah zu der weinenden Frau zurück, die der Vergangenheit "nachtrauerte. Keren hätte gern irgendjemanden geschlagen, ganz gleich wen, um den Schmerz der Alten und das, was man ihr angetan hatte, zu rächen. Doch der Moment währte nur kurz, und sie ging weiter. Sie stolperte einen von Abfall übersäten Weg entlang, zwischen den kniehohen Überresten einer Mauer und den überfüllten Zelten und den löchrigen Vordächern, die man notdürftig daran befestigt hatte, hindurch. Der Weg bog bald nach rechts ab, und nach kurzem Zögern ging sie weiter. Bis sie an eine niedrige, zerfallene Brüstung kam, von der aus man das ganze Flüchtlingslager überblicken konnte. Tausende von Feuern brannten auf dem breiten Ruinenfeld. Darunter leuchtete ein weiterer Teppich aus Lichtern, der sich über die freie Ebene bis zum Fuß des Vorgebirges erstreckte. Sie befand sich in Alvergost, der größten Zitadelle der vor Äonen untergegangenen Brusartan-Könige, der letzten Herrscher-Dynastie des Jefren-Bundes.
    Erst heute morgen waren Keren, Suviel und Gilly müde auf einen Bergsattel geritten und blickten von dort auf diese gewaltigen Ruinen hinab. Alvergost war an der südlichsten Ecke der Ebene von Khatris erbaut worden. Dort traf die Honjir-Gebirgskette auf das Rukang-Massiv. Drei riesige Ebenen waren in die Gebirgswände hineingeschnitten worden, jede mit eigenen Wällen, Rampen und Türmen, Toren und Zugbrücken. Die unterste Ebene war die mächtigste gewesen, verfügte neben der Hauptbrüstung noch über drei weitere innere Wehrwälle und stark befestigte Wehrgänge, die sich nach Norden und Osten an den Berg schmiegten.
    Aber auch die Brusartan-Könige waren, wie andere Häuser vor ihnen, dem hinlänglich bekannten Pfad der Dekadenz gefolgt. Charismatischen, tatkräftigen Königen folgten weniger fähige Herrscher, deren Nachkommen träge oder gar dem Wahnsinn verfallen waren. Am Ende ihrer Jahrhunderte dauernden Herrschaft zerfiel der Bund in einem Bürgerkrieg, und das raffiniert ersonnene Alvergost wurde aufgegeben. Jetzt waren diese gewaltigen Ruinen, von den Jahrhunderten letztlich zu Boden gezwungen, kampflos an eine Armee aus Besitzlosen und Verzweifelten gefallen. Im kalten, klaren Licht des frühen Morgens hatte Keren beobachtet, wie ein Strom von mehreren hundert Flüchtlingen sich zu den Tausenden gesellte, die schon hier lagerten, vorwiegend Bauern und Stadtleute aus Tobrosa. Die schwarzen Rauchsäulen aus der Stadt waren noch am fünften Tag nach den Plünderungen der Mogaun am Horizont zu sehen. Am Tage bot Alvergost ein herzzerreißendes Spektakel, in der Nacht jedoch strahlte es eine merkwürdige Schönheit aus, wenn seine drei gewaltigen Ebenen von den flackernden Lagerfeuern beschienen wurden.
    Suviel kümmerte sich irgendwo da unten um die Kranken und Verwundeten. Als sie von dem Hügelkamm ins Lager geritten waren, hatte eine alte Hebamme die Kleidung des Kräuterweibes erkannt und Suviel gebeten, zum Zelt der Heiler zu kommen und zu helfen. Die Magierin hatte sofort zugestimmt und Keren und Gilly gebeten, einen Lagerplatz neben freundlich gesonnenen Menschen zu suchen und dort bis zum späten Nachmittag auf ihre Rückkehr zu warten. Darüber war es dämmrig geworden, und die Nacht war angebrochen, ohne dass Suviel wieder aufgetaucht wäre. Keren sorgte sich um die Sicherheit ihrer Begleiterin und machte sich auf, sie zu suchen. Sie war aufgestanden, hatte ihre Absicht kundgetan und war in der Dunkelheit verschwunden, bevor Gilly mehr als einige deftige Flüche von sich geben konnte.
    Keren setzte ihre Wanderung nach Westen fort, vorbei an den zerstörten Resten der alten Befestigungen. Kurz darauf erreichte sie eine Treppe, die von der verheerenden Wirkung der Zeit zu einer felsigen Rampe geschliffen worden war. Sie mündete weiter unten in einen breiteren Hang, der von den runden Sockeln ehemaliger Säulen flankiert wurde und von dem viele verästelte Gräben abgingen, die der Regen der Jahrhunderte ausgehöhlt hatte. Überall wimmelte es von Menschen. Sie saßen teilnahmslos an Feuern, stritten miteinander, schliefen in einfachen Zelten oder streckten Keren bettelnd die Hände entgegen, während sie vorüberging. Sie ignorierte sie und hastete weiter. Kurz darauf stand sie vor einer Barriere aus Trümmern und Erde und folgte vorsichtig einem schmalen Pfad hinauf, als eine Gestalt hinter einer

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