01 - So nah am Paradies
Gras spielen. Dieses Jahr - hoffentlich dieses Jahr - würden ihre Bücher aus den roten Zahlen kommen.
Chuck hätte sich keine Sorgen darüber gemacht.
Er hatte sich nie Gedanken über das Morgen gemacht, nur über den Augenblick und sein nächstes Autorennen. Alana wusste, warum er im tiefsten Virginia Land gekauft hatte. Doch damals hatte sie die Geste seines Schuldgefühls als Zeichen von Hoffnung eingeschätzt. Diese Fähigkeit, überall auch noch so dünne Hoffnungsfädchen zu sehen, hatte sie die letzten acht Jahre überstehen lassen.
Chuck hatte zwar das Land gekauft, aber nur wenig Zeit hier verbracht. Er war zu unruhig gewesen, um still das Wachsen der Natur zu beobachten. Unruhig, sorglos und selbstbezogen, so war Chuck. Das hatte sie schon gewusst, bevor sie ihn geheiratet hatte, denn er hatte sich nie zu verstellen versucht. Es war einfach so gewesen, dass sie damals nur gesehen hatte, was sie sehen wollte. Er war wie ein Irrlicht - das er auch gewesen war - in ihr Leben getreten, und sie war ihm, blind vor Bewunderung, gefolgt.
Die achtzehnjährige Alana O'Hara war von dem aufregenden Chuck Rockwell wie verzaubert gewesen. Sein Name und seine Rennerfolge hatten die Titelseiten der Zeitungen beherrscht. Doch sein Name und seine Eroberungen unter den
Frauenherzen hatten auch alle Klatschspalten gefüllt. Die junge Alana hatte diese Boulevardblätter nicht gelesen. Sein Charme hatte sie betört. Und er schien ihr ein aufregendes Leben und die Freiheit von verantwortungsvollen Verpflichtungen zu bieten. So hatte sie ihn geheiratet, bevor sie überhaupt richtig Luft holen konnte.
Obwohl ein leichter Nieselregen einsetzte, hielt Alana ihr Pferd an. Sie genoss es, einfach nur allein zu sein. In sanften Hügeln erstreckte sich vor ihr das Land. Hier und da zeigte sich noch ein Fleckchen Schnee, und über allem lag der Nebel. Als Jay ungeduldig mit den Hufen scharrte, tätschelte sie seinen Hals, bis er wieder ganz ruhig war. Wie schön war es hier. Sie war in Monte Carlo, London, Paris und Rom gewesen, doch selbst nach den fünf Jahren, die sie hier gelebt und gearbeitet hatte, erschien es ihr immer noch als das schönste Fleckchen der Welt.
Der Regen platschte zu Boden und versprach, die Wege, die über Alanas Land führten, unbenutzbar zu machen. Falls das Thermometer in der Nacht sinken würde, würden sie zudem gefährlich vereisen. Und doch, wie schön war es. Dafür schuldete sie Chuck Dank. Und für noch so viel mehr. Er war ihr Mann gewesen. Nun war sie seine Witwe. Bevor er in den Flammen umgekommen war, hatte er sie innerlich fast ausgebrannt. Aber er hatte ihr die zwei wichtigsten Bestandteile ihres Lebens hinterlassen: ihre Söhne.
Und nur wegen ihnen hatte sie schließlich dem Besuch des Schriftstellers zugestimmt. Seit mehr als vier Jahren hatte sie Angebote von Verlagen abgewehrt. Doch das hatte die wilden Geschich ten über Chuck Rockwell, wie sie immer wieder einmal in Zeitungen erschienen waren, nicht unterbinden können. Und so hatte sich Al- ana zu dem Entschluss durchgerungen, mit einem Schriftsteller - einem guten Schriftsteller -
zusammenzuarbeiten, um auf diese Weise
zumindest einen gewissen Einfluss auf das fertige Werk ausüben zu können.
Dorian Crosby war ein sehr guter Schriftsteller.
Alana war sich dessen bewusst, dass dies für sie ein Vorteil, aber auch ein Nachteil war. Denn er würde in Themen herumstochern, die sie fest entschlossen war, auszuklammern.
Sie würde sich sehr geschickt verhalten müssen.
Das Problem war nur, dass ihr diese Art von Geschicklichkeit eigentlich nicht lag, ganz im Gegensatz zu Carrie. Ihre ältere Schwester -
zweieinhalb Minuten älter - war schon immer gut im Planen und Beeinflussen der Geschehnisse gewesen. Maddy dagegen, ihre zwei Minuten und zehn Sekunden jüngere Schwester, zog den direkten Weg vor, den, der sich durch Tatkraft und Willensstärke auszeichnete.
Doch sie war eben Alana, die mittlere der Drillinge.
Die ruhige. Die verantwortungsbewusste. Diese Etiketten ließen sie immer noch zusammenzucken.
Doch jetzt bestand ihr Problem nicht in solchen Etikettierungen. Jetzt war ihr Problem Dorian Crosby, ein ehemaliger Reporter, der heute Biografien schrieb. Früheren Untersuchungen von ihm war es zu verdanken gewesen, dass eine der größten Mafia-Familien der Westküste zerschlagen werden konnte. Und er hatte die Karriere eines Senators abrupt beendet, durch Aufdeckung dessen Schweizer Bankkontos und
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