01 - Winnetou I
wurden niedergeschossen. Das war entsetzlich. Indem mein Auge an dieser Stelle hing, sah ich nicht, was hinter mir vorging. Wir wurden von da aus von einer bedeutenden Schar angefallen und auseinandergerissen. Zwar riefen wir diesen Leuten zu, daß wir ihre Freunde seien, doch ohne Erfolg; sie drangen mit Messern und Tomahawks auf uns ein, so daß wir uns wehren mußten, obwohl wir eigentlich nicht wollten. Wir schlugen mehrere von ihnen mit dem Kolben nieder, so daß sie Respekt bekamen und von uns ließen.
Diesen freien Augenblick benutzte ich zu einem schnellen Rundblick. Es gab keinen Kiowa, der nicht mehrere Apachen gegen sich hatte. Sam sah das auch und rief:
„Schnell fort! Dort in die Sträucher hinein!“
Er deutete nach dem schon mehrfach erwähnten Gebüsch, welches uns Deckung gegen das Lager hin gegeben hatte, und rannte demselben zu. Dick Stone und Will Parker folgten ihm. Ich zögerte einige Augenblicke, indem ich nach der Stelle sah, wo sich die Surveyors befunden hatten. Sie waren Weiße, und ich hätte ihnen gern Hilfe gebracht; aber es war zu spät dazu. Darum wendete ich mich nun auch den Büschen zu. Ich hatte sie noch lange nicht erreicht, da sah ich Intschu tschuna bei denselben erscheinen.
Er hatte sich mit Winnetou bei der Abteilung der Apachen befunden, deren Aufgabe der Überfall des Lagers und die Befreiung der Gefangenen war. Als sie dies erreicht hatten, waren die beiden Häuptlinge von dort fortgerannt, um nach den Erfolgen der größeren Abteilung zu sehen, mit welcher wir es zu tun hatten. Intschu tschuna war seinem Sohne eine ziemliche Strecke voran. Als er um die Büsche gebogen war, erblickte er mich.
„Der Länderdieb!“ rief er mir entgegen und drang mit seiner umgekehrten Silberbüchse auf mich ein, um mich niederzuschlagen. Ich rief ihm zwar einige erklärende Worte zu, die ihm sagen sollten, daß ich kein Feind von ihm sei; aber er hörte nicht darauf und verdoppelte seine Stöße und Hiebe. Es ging gar nicht anders an; wenn ich nicht schwer verletzt oder gar erschlagen sein wollte, mußte ich ihm wehe tun. Grad als er wieder zum Hiebe ausholte, warf ich meinen Bärentöter, mit welchem ich pariert hatte, weg, hing im nächsten Moment mit der linken Hand an seinem Halse, während ich ihm mit der rechten Faust einige Hiebe gegen die Schläfe versetzte. Er ließ seine Büchse fallen, röchelte kurz auf und fiel dann auf die Erde nieder. Dann ertönte hinter mir eine jubelnde Stimme:
„Das ist Intschu tschuna, der oberste der Apachenhunde! Ich muß sein Fell, seinen Skalp haben!“
Mich umdrehend, gewahrte ich Tangua, den Kiowahäuptling, welcher aus irgendeinem Grunde dieselbe Richtung wie ich eingeschlagen hatte. Er warf sein Gewehr weg, zog sein Messer und stürzte sich auf den besinnungslosen Apachen, um ihn zu skalpieren. Ich faßte ihm beim Arm und gebot:
„Laß die Hand davon! Den habe ich besiegt; er gehört also nicht dir, sondern mir!“
„Schweig, weißes Ungeziefer!“ antwortete er mir. „Was habe ich nach dir zu fragen. Der Häuptling ist mein! Laß mich los, sonst – – –“
Er stach mit dem Messer nach mir und traf mich in das linke Handgelenk. Ich wollte ihn nicht erstechen und ließ darum mein Messer im Gürtel stecken, warf mich aber auf ihn und gab mir Mühe, ihn wegzuziehen. Da mir dies nicht gelang, drückte ich ihm die Kehle zusammen, bis er sich nicht mehr bewegte; dann beugte ich mich zu Intschu tschuna nieder, dessen Gesicht aus meiner Handwunde mit Blut betropft worden war. In diesem Augenblick hörte ich ein Geräusch hinter mir und machte eine Wendung, um mich umzusehen. Diese Bewegung rettete mir das Laben, denn ich erhielt auf die Schulter einen fürchterlichen Kolbenhieb, welcher meinem Kopf gegolten hatte. Wäre dieser getroffen worden, so hätte der Schlag mir den Schädel zerschmettert. Der mir ihn gab, war Winnetou.
Er war, wie bereits erwähnt, hinter seinem Vater zurückgewesen. Um das Gebüsch biegend, sah er mich bei seinem Vater knien, welcher wie leblos lag und mit Blut bespritzt war. Winnetou holte sofort zum tödlichen Kolbenhieb aus, der aber glücklicherweise nur meine Schulter traf. Dann ließ er sein Gewehr fallen, zog sein Messer und stürzte sich auf mich.
Meine Lage war so schlimm wie möglich. Der Hieb hatte meinen ganzen Körper erschüttert und mir den Arm gelähmt. Ich hätte Winnetou gern eine Erklärung gegeben; aber dies alles ging so schnell, daß gar keine Zeit zu einem Worte vorhanden war. Er
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