01 - Winnetou I
gegen uns zu finden. Sie konnten jetzt noch warten, denn wir waren ihnen sicher. Darum drängten sie einstweilen ihren Grimm zurück und beschäftigten sich mit der Leiche ihres gefallenen Kameraden. Der Häuptling befand sich auch bei derselben, und da läßt es sich denken, daß Sam Hawkens für seine Vorstellungen kein williges oder gar freundliches Gehör fand. Er kehrte höchst verdrießlich zurück und meldete uns:
„Der Kerl will wirklich nicht Wort halten. Er scheint die Gefangenen verschmachten lassen zu wollen. Und das nennt der Schuft ‚nicht töten’! Wir werden aber die Augen offenhalten, wenn ich mich nicht irre, und ihm doch ein Schnippchen schlagen, hihihihi!“
„Wenn nur dieses Schnippchen nicht uns selbst geschlagen wird!“ bemerkte ich. „Es ist schwer, andere zu beschützen, wenn man des Schutzes selbst so sehr bedarf.“
„Ich glaube gar, Ihr fürchtet Euch vor diesen Roten, Sir!“
„Pshaw! Daß ich mich nicht fürchte, wißt Ihr ebenso gut wie ich selbst.“
„Mit nur einem Unterschied. Nämlich da, wo ich mich scheuen würde, geht Ihr dick darauf wie der Ochse auf ein rotes Tuch. Und wo es den eigentlich richtigen Mut gilt, da zeigt Ihr Bedenklichkeit. Das ist aber stets so Greenhornsweise. Was denkt Ihr denn eigentlich so jetzt in Euren Sinnen?“
„Worüber?“
„Über den Messerkampf, den Ihr bestanden habt.“
„Da denke ich, daß Ihr wahrscheinlich mit mir zufrieden sein werdet.“
„Das meine ich nicht. Ich rede von den etwaigen Vorwürfen.“
„Vorwürfe? Wer sollte mir die machen? Etwa Ihr?“
„Mein Himmel, seid Ihr doch schwer von Begriffen! Sagt einmal aufrichtig, Sir, habt Ihr vielleicht da drüben im alten Lande als Mörder irgendeines Menschen auf dem Schafott gestanden?“
„Glaube nicht. Wenigstens ist mir nichts davon erinnerlich“, antwortete ich auf seine so drastische Frage.
„So habt Ihr also noch niemand umgebracht?“
„Nein.“
„So habt Ihr also heut Euern ersten Totschlag verübt. Wie ist es Euch nun da innerlich zu Mute? Das ist es, was ich wissen wollte.“
„Hm! Ein angenehmes Bewußtsein ist es wahrlich nicht. Es wird mir wohl nicht so leicht wieder geschehen, daß ich einem Menschen das Leben nehme. Es regt sich etwas in meinem Innern, was die größte Ähnlichkeit mit einem bösen Gewissen hat.“
„Bildet Euch nichts ein und macht Euch keine dummen Gedanken! Es kann Euch, ohne daß Ihr es wollt, hier alle Tage vorkommen, daß Ihr einen Menschen auslöschen müßt, um Euer eigenes Leben zu retten. In einem solchen Falle muß man – – – heavens, da ist ja gleich ein solcher Fall!“ unterbrach er sich. „Da sind wahrhaftig die Apachen schon! Da wird es blutige Köpfe geben. Macht Euch zum Kampf fertig, Mesch'schurs!“
Es erscholl nämlich von da, wo die Gefangenen sich mit ihren Wächtern befanden, das hoch und schrill tönende hiiiiiiiiiiiiiih, der Kriegsruf der Apachen. Intschu tschuna und Winnetou waren wider alles Erwarten jetzt schon da; sie überfielen das Lager der Kiowas. Diese, welche sich bei uns befanden, horchten erschrocken auf; dann schrie der Häuptling:
„Feinde da unten bei unseren Brüdern! Schnell hin, schnell ihnen zu Hilfe!“
Er wollte fortstürmen; da aber trat ihm Sam Hawkens entgegen und rief:
„Ihr könnt nicht hin; bleibt immer da, denn wir sind jedenfalls auch schon umringt. Oder meint Ihr, die beiden Häuptlinge der Apachen seien so dumm, nur Eure Wächter anzugreifen und nicht zu wissen, wo Ihr Euch befindet? Sie werden im nächsten Augen – – –“
Er hatte schnell und hastig gesprochen, kam aber dennoch nicht zu Ende, denn jetzt erscholl der fürchterliche, durch Mark und Bein schneidende Schlachtruf auch rund um uns her. Wir befanden uns, wie schon erwähnt, zwar auf einer offenen Prärie, doch standen auf derselben Büsche zerstreut, hinter welche sich die Apachen, von uns unbemerkt, weil wir so sehr mit uns beschäftigt gewesen waren, so geschlichen hatten, daß wir von ihnen vollständig umzingelt waren. Jetzt kamen sie in hellen Haufen von allen Seiten auf uns zugesprungen. Die Kiowas schossen auf sie und machten auch einige Treffer, doch so wenige, daß dieselben gar nicht zu rechnen waren. Dann waren die Angreifer auch schon dabei.
„Tötet keine Apachen, ja keinen“, rief ich Sam, Dick und Will zu; dann tobte aber auch schon der Nahkampf um uns her. Wir vier beteiligten uns nicht an demselben; der Oberingenieur aber und die drei Surveyors wehrten sich; sie
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