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01 - Winnetou I

01 - Winnetou I

Titel: 01 - Winnetou I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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etwas zu geben, was er während der drei Wochen, in denen er dich pflegte, für dich angefertigt hat.“
    „Was ist es?“
    „Ich habe Winnetou gefragt, ob ich es dir bringen darf, und er hat es erlaubt. Hier ist es. Du mußt ein starker und kühner Mann sein, daß du es wagst, den grauen Bären bloß mit dem Messer anzugreifen. Sam Hawkens hat es mir erzählt.“
    Sie gab mir eine Kette, welche Sam von den Zähnen und Krallen des Grizzly angefertigt hatte; die beiden Ohrenspitzen waren auch dabei.
    „Wie hat er das machen können?“ fragte ich verwundert. „Doch nicht mit den Händen allein. Hat man ihm sein Messer und sein anderes Eigentum gelassen?“
    „Nein, du bist der einzige, dem man nichts genommen hat. Aber er sagte meinem Bruder, daß er diese Kette machen wolle, und bat sich die Krallen und Zähne des Bären zurück. Winnetou erfüllte ihm diesen Wunsch und gab ihm auch die Gegenstände, welche zur Anfertigung der Kette nötig waren. Trag sie gleich heut, denn du wirst dich nicht lange über sie freuen können.“
    „Wohl weil ich nun bald sterben muß?“
    „Ja.“
    Sie nahm mir die Kette aus der Hand und legte sie mir um den Hals. Ich habe sie von diesem Tage an stets getragen, sooft ich im wilden Westen war, und antwortete jetzt der schönen Indianerin:
    „Dieses Andenken konntest du mir auch später bringen. Es eilt nicht so, denn ich werde es hoffentlich noch viele Jahre tragen.“
    „Nein, nur kurze, sehr kurze Zeit.“
    „Glaub das nicht! Eure Krieger werden mich nicht töten!“
    „Gewiß! Es ist im Rate der Alten beschlossen.“
    „So werden sie anders beschließen, wenn sie hören, daß ich unschuldig bin.“
    „Das glauben sie nicht!“
    „Sie werden es glauben, denn ich kann es ihnen beweisen.“
    „Beweise es, beweise es! Ich würde mich sehr, sehr freuen, wenn ich hörte, daß du kein Lügner und kein Verräter bist! Sag mir, womit du es beweisen kannst, damit ich es Winnetou, meinem Bruder, mitteile!“
    „Er mag zu mir kommen, um es zu erfahren.“
    „Das tut er nicht.“
    „So erfährt er es nicht. Ich bin nicht gewöhnt, mir Freundschaft zu erbetteln oder durch Boten mit jemand zu verkehren, der selber zu mir kommen kann.“
    „Was seid ihr Krieger doch für harte Leute! Ich hätte dir so gern die Verzeihung Winnetous gebracht; du wirst sie aber nicht erhalten.“
    „Verzeihung brauche ich nicht, denn ich habe nichts getan, was mir vergeben werden müßte. Aber um einen andern Gefallen werde ich dich bitten.“
    „Um welchen?“
    „Falls du wieder zu Sam Hawkens kommen solltest, so sag ihm, daß er keine Sorge zu haben brauche. Sobald ich mich von meiner Krankheit erholt habe, werden wir frei sein.“
    „Das glaube ja nicht! Diese Hoffnung wird dir nicht in Erfüllung gehen.“
    „Es ist keine Hoffnung, sondern vollständige Gewißheit. Du wirst mir später sagen, daß ich recht gehabt habe.“
    Der Ton, in welchem ich dies sagte, war so überzeugt, daß sie es aufgab, mir zu widersprechen. Sie ging.
    Mein Gefängnis lag also am Pecosfluß, jedenfalls in einem Nebental desselben, denn wenn ich durch die Tür blickte, so fiel mein Auge auf die gegenüberliegende Felswand, die gar nicht weit entfernt war, während das Tal des Rio Pecos viel breiter sein mußte. Gern hätte ich das Pueblo, in oder auf welchem ich mich befand, gesehen; aber ich konnte nicht vom Lager auf, und selbst wenn ich stark genug gewesen wäre, wußte ich nicht, ob es mir erlaubt war, den Raum zu verlassen, in welchem ich mich befand.
    Als es dunkel wurde, kam die Alte und setzte sich in die Ecke. Sie brachte eine Lampe mit, welche aus einem kleinen, ausgehöhlten Kürbis bestand und die ganze Nacht brannte. Diese Alte hatte die gröberen Arbeiten zu verrichten, während Nscho-tschi, um mich so auszudrücken, das Prinzip der Gastlichkeit vertreten sollte.
    Ich tat die ganz Nacht hindurch wieder einen tiefen, kräftigen Schlaf und fühlte mich am andern Morgen stärker als am vorhergehenden Tag. Heut bekam ich nicht weniger als sechsmal zu essen, immer dicke Fleischbrühe mit Maismehl; das war ebenso nahrhaft wie leichtverdaulich und wurde auf die nächsten Tage und so lange fortgesetzt, bis ich besser schlingen und also festere Nahrung, besonders Fleisch, zu mir nehmen konnte.
    Mein Zustand verbesserte sich von Tag zu Tag. Das Skelett bekam wieder Muskeln, und die Geschwulst im Munde nahm stetig ab. Nscho-tschi blieb ganz dieselbe, immer freundlich besorgt und dabei überzeugt, daß mir der

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