01 - Winnetou I
verlassen hatten. Darum fragte ich Winnetou:
„Gehen wir hin?“
„Ja“, antwortete er. „Es sind Bleichgesichter, Händler, welche mit den Kiowas ein Tauschgeschäft gemacht haben. Aber sie dürfen nicht wissen, wer wir sind.“
„Gut! Ich bin der Unterbeamte eines Indianeragenten und muß in dieser Eigenschaft zu den Kiowas, verstehe aber ihre Sprache nicht; darum habe ich dich mitgenommen. Du bist ein Pawnee-Indianer.“
„So ist es gut. Mein Bruder mag mit diesen beiden Bleichgesichtern sprechen.“
Wir ritten auf sie zu. Sie hatten, wie man bei Begegnungen im wilden Westen stets zu tun pflegt, ihre Gewehre zur Hand genommen und sahen uns erwartungsvoll entgegen.
„Tut eure Büchsen weg, Mesch'schurs“, forderte ich sie auf, als wir sie ziemlich erreicht hatten. „Wir haben nicht die Absicht, euch anzubeißen.“
„Würde euch auch schlecht bekommen“, antwortete der eine von ihnen. „Wir können nämlich auch beißen. Zu den Gewehren haben wir nicht etwa aus Angst gegriffen, sondern weil es so Gebrauch ist und weil ihr uns verdächtig vorkommt.“
„Verdächtig? Wieso?“
„Nun, wenn zwei Gentlemen, von denen der eine ein weißer und der andere ein roter ist, so allein in der Prärie herumreiten, dann sind sie gewöhnlich Spitzbuben. Dazu ist euer Habit ein ganz indianisches. Sollte mich wundern, wenn ihr ehrliche Kerle wäret!“
„Danke Euch für diese Aufrichtigkeit! Es ist immer nützlich, zu wissen, was andere von einem halten. Kann Euch aber versichern, daß Ihr Euch irrt.“
„Möglich. Eine Galgenvisage habt Ihr nicht; das ist richtig. Kann mir auch ganz gleichgültig sein, ob Ihr früher oder später irgendwo aufgehangen werdet, denn da bekommt Ihr den Strick an Euern und nicht an meinen Hals. Vielleicht habt Ihr die Gewogenheit, uns zu sagen, woher Ihr kommt?“
„Ganz gern. Wir haben keinen Grund, heimlich damit zu tun. Wir kommen vom False Washita herüber.“
„So! Und wo wollt Ihr hin?“
„Ein wenig zu den Kiowas.“
„Zu welchen?“
„Zu dem Stamm, dessen Häuptling Tangua heißt.“
„Das ist nicht weit von hier.“
„Weiß es. Das Dorf liegt zwischen dem Red River und dem Salt Fork.“
„Richtig! Aber wenn Ihr einen guten Rat annehmen wollt, so kehrt schnell wieder um und laßt Euch vor keinem Kiowa sehen.“
„Warum?“
„Weil es eine schlechte Angewohnheit ist, sich von den Roten umbringen zu lassen.“
„Pshaw! Habe mir das bisher noch nicht angewöhnt und werde es auch später niemals tun.“
„Was später geschieht, kann niemand wissen. Meine Warnung ist gut gemeint und hat ihren Grund. Wir kommen nämlich von Tangua. Derselbe hat die löbliche Absicht, jeden Weißen, der in seine Hände fällt, auszulöschen und auch jeden Roten, der kein Kiowa ist.“
„Dann ist er ja ein außerordentlich wohlmeinender Gentleman! Hat er Euch das selbst gesagt?“
„Jawohl, und zwar wiederholt.“
„Der Spaßvogel!“
„Oho! Es war ihm ungeheuer ernst dabei!“
„Ernst? Wirklich? Wie komme ich da zu dem Vergnügen, Euch so hübsch lebendig und bei guter Gesundheit vor mir zu sehen? Er will jeden Weißen umbringen und auch jeden Roten, wie Ihr behauptet. Habe Euch auch für Weiße gehalten. Solltet Ihr vielleicht Neger sein?“
„Macht keine dummen Witze! Uns tut er nichts; mit uns hat er eine Ausnahme gemacht, weil wir alte, gute Bekannte von ihm sind und schon viele Male in seinem Dorf waren. Wir sind nämlich Trader (Händler), wie Ihr wohl schon erraten habt, und zwar ehrliche Trader, nicht solche Halunken, welche die Roten mit ihren Waren betrügen und sich dann nicht wieder bei ihnen sehen lassen dürfen. Darum heißt man uns überall willkommen. Die Roten brauchen doch unsere Waren und werden also nicht so dumm sein, einen ehrlichen Kerl, auf den sie sich verlassen können und von dem sie Nutzen haben, an den Kragen zu gehen. Euch aber werden sie kaltmachen; darauf könnt Ihr Euch verlassen.“
„Werde wohl warm bleiben, denn ich meine es auch ehrlich mit ihnen und suche sie eben jetzt auf, um ihnen Nutzen zu bringen.“
„So? Dann sagt uns doch einmal, was Ihr seid und was Ihr bei ihnen wollt.“
„Ich gehöre zur Agentur.“
„Zur Agentur? Hört, das ist ja noch viel schlimmer! Nehmt es mir nicht übel, aber ich will Euch um Euretwillen offen sagen, daß die Roten grad auf die Agenten gewaltig schlecht zu sprechen sind, weil – – – weil – – –“
Er zögerte, fortzufahren, darum ergänzte ich seine
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