01 - Winnetou I
werdet ihr dabei sein.“
Unser Versteck war ein verhältnismäßig gutes; aber wir befanden uns mitten auf feindlichem Gebiet, und der Zufall konnte leicht einen oder einige Kiowas an die Uferstelle führen, wo wir lagerten. Darum schlug Winnetou vor:
„Ich kenne eine Insel, welche eine kleine Strecke abwärts mitten im Fluß liegt. Sie hat Büsche und Bäume, die uns verbergen werden. Dorthin wird niemand kommen. Meine Brüder mögen sich mit mir nach dieser Insel begeben.“
Wir verließen also unser Lager und ritten am Fluß hinunter, bis wir die Insel sahen. Das Wasser war hier tief und hatte ein ziemliches Gefälle, doch kamen wir auf unsern Pferden ganz gut hinüber, wo es sich zeigte, daß Winnetou recht gehabt hatte: Die Insel war groß und auch bewachsen genug, um uns und unsern Pferden vollständige Deckung zu gewähren.
Ich machte mir zwischen den Büschen ein Lager zurecht und schlief, denn es war vorauszusehen, daß in der nächsten Nacht von einem Schlaf keine Rede sein werde. Nicht daß es keine Zeit oder Gelegenheit dazu gegeben hätte, sondern des Wassers wegen.
Sam Hawkens war auf einer kleinen Insel interniert, die ich beschleichen wollte. Da mußte ich in das Wasser. Ja, schon vorher, gleich beim Aufbruch, mußte ich mit Winnetou von unserer Insel an das Ufer schwimmen, wobei wir vollständig durchnäßt werden mußten. Wir standen in der Mitte des Dezember, und das Wasser war also kalt; wer hätte da in den durchnäßten Kleidern schlafen können.
Als es dunkel geworden war, wurden wir geweckt, denn auch Winnetou hatte geschlafen. Es war Zeit, nach dem Dorf aufzubrechen. Wir legten die nicht durchaus notwendigen Kleidungsstücke ab und ließen auch alles, was wir in den Taschen hatten, zurück. Von unsern Waffen nahmen wir nur die Messer mit. Dann sprangen wir in den Fluß und schwammen nach dem rechten Ufer desselben, weil wir von diesem aus an den Salt Fork gelangen konnten. Als wir eine kleine Stunde lang an diesem Ufer aufwärts gegangen waren, kamen wir an die Stelle, wo der Salt Fork in den Red River-Arm mündete, und hatten dem ersteren nur wenige hundert Schritte nach links zu folgen, bis wir die Feuer des Dorfes sahen. Es lag hart am linken Ufer des Salt Fork, während wir uns auf dem rechten befanden. Wir mußten also hinüber.
Dies taten wir aber nicht gleich, sondern wir schritten erst langsam, natürlich diesseits, die ganze Länge des jenseits liegenden Dorfes ab. Das Wort Dorf bezeichnet hier nicht den europäischen Begriff, eine Ansammlung von festen Häusern, bei denen und um welche Gärten und Felder liegen. Von Gärten und Feldern gab es hier keine Spur, und die Wohnungen bestanden jetzt aus dicken Lederzelten, während die Roten im Sommer leinene zu bewohnen pflegen.
Fast vor jedem Zelt brannte ein Feuer, an welchem die Bewohner saßen, um sich zu wärmen und ihr Abendessen zu bereiten. Das größte Zelt stand ungefähr in der Mitte des Dorfes. Der Eingang war mit Lanzen geschmückt, an denen Adlerfedern und sonderbar gestaltete Medizinen hingen. An dem dort befindlichen Feuer saß Tangua, der Häuptling, mit einem jungen, vielleicht achtzehnjährigen Indianer und zwei Knaben, welche zwölf und vierzehn Jahre zählen mochten.
„Diese drei sind seine Söhne“, sagte Winnetou. „Der älteste ist sein Liebling und wird ein tapferer Krieger werden. Sein Lauf ist so rasch, daß er den Namen Pida bekommen hat, was Hirsch bedeutet.“
Auch Frauen gingen geschäftig ab und zu, doch ist es bei den Indianern den Frauen und Töchtern nicht erlaubt, mit den Männern und Söhnen zu essen. Sie essen später und müssen nehmen, was übrig bleibt, dafür aber alle, selbst die schwerste, Arbeit verrichten.
Ich suchte nach der Insel. Der Himmel hing schwarz voller Wolken und kein Stern war zu sehen, doch die Feuer ermöglichten es uns, drei Inseln zu erkennen, welche in geringen Entfernungen voneinander am Ufer lagen.
„Auf welcher mag sich Sam befinden?“ fragte ich.
„Wenn mein Bruder das wissen will, so mag er an das denken, was der Trader gesagt hat“, antwortete Winnetou.
„Daß die Insel nah am Ufer liege? Die erste und die dritte liegen weiter hüben nach uns zu; es wird also die zweite, die mittlere, sein.“
„Wahrscheinlich. Und da rechts ist das untere Ende des Dorfes, wo im vierten oder fünften Zelt Santer wohnt. Wir werden nicht beisammen bleiben, sondern uns trennen. Ich habe es auf den Mörder meines Vaters und meiner Schwester abgesehen und werde also
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