01 - Winnetou I
Kerl. Ich sagte ihm, daß seine Lage nicht zum Lachen sei; da kicherte er mich wieder an und meinte, ich soll mich nur nicht um ihn sorgen, denn dazu seien ganz andere Leute da. Dennoch bat ich beim Häuptling für ihn, wurde aber hundegrob abgewiesen. Er wird übrigens nicht schlecht behandelt, denn Old Shatterhand hat einen gefangenen Kiowa als Geisel bei sich. Nur Santer gibt sich Mühe, ihm das bißchen Leben, welches er noch haben wird, schwerzumachen.“
„Santer? Dem Namen nach ein Weißer! Sind denn außer Euch noch andere Weiße bei den Kiowas gewesen?“
„Nur dieser eine, der sich Santer nennt. Ein Kerl, der mir widerwärtig ist. Er kam gestern mit den Roten hier an, welche Winnetou herbeigelockt haben, und machte sich gleich über den Gefangenen her. Werdet ihn ja auch kennenlernen, wenn Ihr nachher in das Dorf kommt.“
„Wißt Ihr denn, was er eigentlich bei Tangua will?“
„Nein. Habe ihn zwar begrüßt, aber dann nicht wieder beachtet, weil ihm meine Gegenwart nicht zu gefallen schien. Hätte es von den Roten erfahren können, habe aber nicht gefragt. Was mich nichts angeht, das nehme ich nicht in den Mund; das ist mein Grundsatz, mit welchem ich am besten vorwärts komme.“
„Ist dieser Santer der Gast des Häuptlings, oder hat er ein besonderes Zelt?“
„Es ist ihm eines angewiesen worden, nicht etwa gleich neben demjenigen des Häuptlings, was die gewöhnliche Auszeichnung für gern gesehene Gäste ist, sondern eine alte Lederhütte, die fast am Ende des Dorfes liegt. Er scheint also beim Häuptling nicht in besonderer Gunst zu stehen.“
„Wißt Ihr vielleicht, wie der weiße Gefangene heißt?“
„Sam Hawkens, ein fast berühmter Westmann trotz seiner Drolligkeit. Tut mir leid, daß er ausgelöscht werden soll, kann ihm aber nicht helfen. Vielleicht hört der Häuptling auf Euch mehr, als er auf mich gehört hat, wenn Ihr ein gutes Wort für ihn einlegt.“
„Werde es versuchen. Könnt Ihr mir die Lage des Zeltes, in welchem Santer wohnt, nicht genauer angeben?“
„Wozu? Ihr werdet es ja sehen, wenn Ihr hinkommt. Es ist das vierte oder fünfte, flußaufwärts gerechnet. Glaube nicht, daß Euch der Mann gefallen wird; hat ein Galgengesicht. Hütet Euch vor ihm! Ihr seid trotz Eures Amtes noch sehr jung und werdet mir einen guten Rat nicht übelnehmen. Ich muß nun weiter. Lebt wohl, und kommt heiler Haut wieder von hier fort!“
Sollte ich ihn halten, um mehr zu erfahren? Da hätte ich ihm aufrichtig sagen müssen, wer wir waren und was wir wollten, und das erschien mir doch gewagt. Winnetou war auch dieser Ansicht, denn er ritt weiter und sagte mit unterdrückter Stimme:
„Es ist genug. Mein Bruder mag nicht weiter fragen, denn dies würde diesen Leuten auffallen, welche Freunde der Kiowas sind.“
„Ich glaube auch, daß wir genug erfahren haben. Wir wissen mit ziemlicher Genauigkeit, wo Hawkens steckt und auch wo Santer wohnt, und werden beide finden. Wie weit reiten wir jetzt?“
„So weit, bis uns diese beiden Händler aus den Augen sind; dann kehren wir nach unserem Lager um. Das Zusammentreffen mit ihnen ist für uns sehr vorteilhaft. Um das auszukundschaften, was wir von ihnen erfahren haben, hätten wir uns in große Gefahr begeben müssen. Nun wissen wir, woran wir sind, und werden heut abend miteinander das Dorf der Kiowas beschleichen.“
Die beiden Trader kamen uns nach und nach aus den Augen. Sie mußten langsam reiten, weil sie so viele Packtiere bei sich hatten. Ich erfuhr später, wie verhängnisvoll ihnen das geworden war. Ebenso erfuhr ich, daß sie bei den Kiowas Felle verschiedener Pelztiere eingetauscht hatten. Der, welcher mit uns gesprochen hatte, war der eigentliche Händler, der andere nur sein Gehilfe gewesen. Nun, da sie fort waren und uns nicht mehr sahen, kehrten wir auf demselben Weg, auf welchem wir gekommen waren, nach unserm Lager zurück und gaben uns unterwegs wieder alle Mühe, unsere Spuren zu verbergen.
Dick Stone und Will Parker waren mit dem Erfolg unserer Rekognoszierung sehr zufrieden. Besonders freuten sie sich darüber, daß ihr kleiner Sam sich verhältnismäßig wohl befand und seine unverwüstliche gute Laune noch besaß. Sie baten uns, sie heut abend mitzunehmen, doch Winnetou schlug ihnen diesen Wunsch ab, indem er erklärte:
„Meine beiden weißen Brüder mögen heut noch dableiben, denn wir werden auf diesem Gang Sam Hawkens wohl schwerlich befreien können. Dies kann wahrscheinlich erst morgen geschehen, und da
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