01 - Winnetou I
Hawkens, und Qualen erdulden, hihihihi! Dein Vater hat mich schon einmal martern lassen wollen, dort am Rio Pecos, bei den Apachen. Was ist die Folge davon gewesen? Kannst du mir das sagen?“
„Daß Old Shatterhand, dieser Hund, ihn zum Krüppel gemacht hat!“
„Well! So ähnlich wird es auch hier werden. Ihr könnt mir nichts anhaben.“
„Wenn du das im Ernst sagst, so ist der Wahnsinn in deinem Kopf eingezogen. Wir haben dich fest, und du kannst uns nicht entrinnen. Bedenke, daß dein ganzer Körper mit Riemen umschnürt ist, so daß du kein Glied bewegen kannst!“
„Ja; diese Fesselung habe ich dem guten Santer zu verdanken und befinde mich ganz wohl dabei!“
„Du leidest Schmerzen, ich weiß es; aber du gibst es nicht zu. Außer dieser Umschnürung bist du an den Baum festgebunden, und es sitzen bei Tag und Nacht vier Krieger hier, dich zu bewachen. Wie willst du entkommen?“
„Das ist meine Sache, geliebter Junge! Jetzt gefällt es mir noch hier; warte also, bis ich fort will; dann könnt ihr mich nicht halten.“
„Wir würden dich frei lassen, wenn du uns sagtest, wohin er gehen wird.“
„Ich sage es aber nicht. Ich weiß schon, wie es steht. Der gute Santer ist so freundlich gewesen, mir die Geschichte zu erzählen, um mir Angst zu machen, was ihm aber nicht gelungen ist. Ihr seid nach dem Nugget-tsil geritten, um Old Shatterhand und Winnetou zu fangen. Lächerlich! Old Shatterhand zu fangen, der mein Schüler ist – hihihihi!“
„Aber du, sein Lehrer, hast dich doch von uns fangen lassen?“
„Nur so zum Zeitvertreib. Ich wollte gern einmal einige Tage bei Euch sein, weil ich Euch so lieb habe, wenn ich mich nicht irre. Also Ihr habt den Ritt vergeblich gemacht und bildet Euch nun ein, daß Winnetou mit seinen Apachen und Old Shatterhand Euch nachlaufen werden. So ein unsinniger Gedanke ist mir doch noch nicht vorgekommen! Heute seht Ihr ein, daß Ihr Euch verrechnet habt. Sie sind nicht gekommen, und ihr wißt nicht, wo sie stecken. Da soll ich Euch nun sagen, wohin Old Shatterhand geritten sein kann. Ihr denkt, daß ich das wissen muß. Und ich will es dir aufrichtig sagen, daß ich es auch weiß.“
„Nun, wohin?“
„Pshaw! Du wirst es sehr bald erfahren, ohne daß ich es dir sage, denn – – –“
Er wurde durch ein lautes Geschrei unterbrochen; ich verstand leider die Worte nicht, aber der Tonfall war so, wie wenn man bei uns hinter einem Flüchtling her: „Haltet ihn auf, haltet ihn auf!“ ruft, und dazu wurde der Name Winnetou gebrüllt.
„Hörst du, wo sie sind!“ rief Hawkens frohlockend. „Wo Winnetou ist, da ist auch Old Shatterhand. Sie sind da – sie sind da!“
Das Gebrüll verdoppelte sich im Dorf, und ich hörte die Indianer laufen. Sie hatten Winnetou gesehen, aber noch nicht erwischt. Das machte mir einen großen Strich durch die Rechnung. Ich sah, daß der Sohn des Häuptlings sich auf der Insel hoch aufrichtete und nach dem Ufer blickte. Dann sprang er in sein Kanu und rief den vier Wächtern zu:
„Nehmt die Gewehre zur Hand, und tötet dieses Bleichgesicht sofort, wenn sich jemand sehen läßt, es zu befreien.“
Dann ruderte er sich dem Ufer zu. Ich hatte Sam schon heut, falls es nur einigermaßen möglich war, losmachen wollen; dies konnte nun freilich nicht geschehen. Selbst wenn ich es hätte wagen wollen, nur mit dem Messer bewaffnet, mir den vier Roten anzubinden, so hätte das seinen augenblicklichen Tod zur Folge gehabt; sie hätten Pida gehorcht und Hawkens ermordet.
Aber da kam mir ein Gedanke, noch viel schneller, als Pida das Ufer erreichen konnte. Er war der Lieblingssohn des Häuptlings. Wenn ich ihn in meine Hand bekam, konnte ich ihn dann gegen Sam auswechseln. Dieser Gedanke war wohl beinahe verrückt, aber das kam in diesem Augenblick nicht in Betracht. Es galt nur, den jungen Häuptling so, daß es niemand sah, zu ergreifen.
Ein einziger Blick zeigte mir, daß die Situation günstig sei. Winnetou war nach dem Red River zu entflohen, also nach links, während unser Lager sich rechts unten auf der Insel befand. Das war klug von ihm, denn er führte dadurch die Verfolger irre. Von dorther, wohin er floh, erscholl das Geschrei der Roten, die ihm nachrannten, und dorthin hatten die vier Wächter ihre Gesichter gerichtet; sie kehrten mir fast ihre Rücken zu, und weiter war niemand da.
Der Häuptlingssohn erreichte mit seinem Kanu das Ufer, wollte es anbinden und dann forteilen; er bückte sich. Da tauchte ich bei ihm
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