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01 - Winnetou I

01 - Winnetou I

Titel: 01 - Winnetou I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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auf; ein Fausthieb streckte ihn nieder; ich warf ihn ins Kanu, sprang selbst hinein und ruderte fort, gegen den Strom und hart am Ufer hin. Der tolle Streich war gelungen. Oben im Dorf gab es keinen Menschen, der auf mich achtete, und die Wächter blickten noch immer in die entgegengesetzte Richtung.
    Ich legte mich mit allen Kräften in das Zeug, um möglichst schnell aus dem Bereich des Dorfes zu kommen; dann, als der Schein der Feuer mich nicht mehr traf, ruderte ich mich an das rechte Ufer des Salt Fork, wo ich den ohnmächtigen Häuptlingssohn in das Gras legte. Dann schnitt ich den Riemen, mit welchem das Kanu angebunden zu werden pflegte, los, um mit demselben den Gefangenen zu fesseln, und gab dem Kahn einen Stoß, daß er fortschwamm; er sollte nicht zum Verräter an mir werden. Als ich Pidas Arme ihm fest an den Leib gebunden hatte, nahm ich ihn auf die Achsel und trat die Rückkehr nach unserer Insel an.
    Das war ein schweres Stück Arbeit, nicht etwa, weil mir die Last, die ich trug, zu schwer wurde, sondern weil er mir nicht gutwillig folgen wollte, als er wieder zu sich gekommen war. Ich mußte ihm öfters mit dem Messer drohen. Seine Waffen hatte ich ihm natürlich abgenommen.
    „Wer bist du?“ fragte er endlich wütend. „Ein räudiges Bleichgesicht, welches Tangua, mein Vater, schon morgen ergreifen und verderben wird!“
    „Dein Vater wird mich nicht ergreifen; er kann ja gar nicht gehen“, antwortete ich.
    „Aber er hat unzählige Krieger, welche er nach mir aussenden wird!“
    „Eure Krieger verlache ich. Es kann leicht jedem von ihnen so ergehen, wie es deinem Vater ergangen ist, als er es wagte, mit mir zu kämpfen.“
    „Uff! Du hast mit ihm gekämpft?“
    „Ja.“
    „Wo?“
    „Da, wo er niederstürzte, als er meine Kugel in beide Beine bekam.“
    „Uff, uff! So bist du Old Shatterhand?“ fragte er erschrocken.
    „Wie kannst du da erst fragen! Ich habe dich doch mit der Faust niedergeschlagen. Wer anders als Winnetou und Old Shatterhand konnten es wagen, mitten in euer Dorf zu dringen und den Sohn des Häuptlings herauszuholen!“
    „Uff! So werde ich sterben; aber ihr sollt keinen Laut des Schmerzes aus meinem Mund hören.“
    „Wir töten dich nicht. Wir sind keine solchen Mörder wie ihr. Wenn dein Vater die beiden Bleichgesichter herausgibt, welche sich bei euch befinden, lassen wir dich frei.“
    „Santer und Hawkens?“
    „Ja.“
    „Er wird sie herausgeben, denn sein Sohn ist ihm mehr wert als zehnmal zehn Hawkens, und auf Santer wird er gar nicht achten.“
    Von jetzt an weigerte er sich nicht mehr, mit mir zu gehen. Die Prophezeiung Winnetous ging in Erfüllung, denn es begann zu regnen, und zwar so sehr, daß es ganz unmöglich für mich war, die Uferstelle zu finden, welche unserer Insel gegenüberlag. Ich suchte also einen recht dicht belaubten Baum auf, um unter demselben entweder das Ende des Regens oder den Ausbruch des Tages zu erwarten.
    Das war eine sehr langweilige Geduldsprobe. Der Regen wollte nicht aufhören und der Morgen nicht erscheinen. Ich hatte nur den einen Trost, daß ich nässer, als ich war, nicht werden konnte, nämlich bis auf die Haut; aber die Nässe war so kalt, daß ich zuweilen aufstand, um mich durch freiturnerische Bewegungen zu erwärmen. Mich dauerte der junge Häuptlingssohn, der so still liegen mußte; aber er war viel abgehärteter als damals ich.
    Endlich wurden meine beiden Wünsche zu gleicher Zeit erfüllt: der Regen hörte auf, und der Tag begann zu grauen. Aber es lag ein dichter, schwerer Nebel ringsumher. Doch wurde es mir nicht schwer, die Uferstelle zu finden. Ich rief ein lautes Hallo hinüber.
    „Halloo!“ antwortete sofort die Stimme Winnetous. „Ist's mein Bruder Shatterhand?“
    „Ja.“
    „So komm! Warum rufst du erst! Das ist gefährlich.“
    „Ich habe einen Gefangenen. Schicke einen guten Schwimmer, und einige Riemen herüber!“
    „Ich komme selbst.“
    Wie freute ich mich darüber, daß er nicht in die Hände der Kiowas gefallen war! Bald sah ich seinen Kopf zwischen Nebel und Wasser erscheinen. Als er an das Ufer trat und den Indianer sah, sagte er erstaunt:
    „Uff! Pida, der Sohn des Häuptlings! Wo hat mein Bruder ihn ergriffen?“
    „Am Flußufer, nicht weit von Hawkens' Insel.“
    „Hast du Hawkens gesehen?“
    „Nein; aber ich hörte ihn mit diesem schnellen ‚Hirsch’ reden. Ich hätte noch mit ihm gesprochen und ihn wohl auch befreit, aber da wurdest du entdeckt, und ich mußte also

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