01 - Winnetou I
nützen, daß die Kiowas sich jenseits des Wassers da drüben im Wald befinden!“
„Da stecken sie nur einstweilen, denn sie können doch nicht hier sein, weil sie von den Spähern der Apachen entdeckt würden. Sind diese aber fort, so kommen sie herab und herüber zu uns und verstecken sich auf der Halbinsel, wo sie nicht bemerkt werden können.“
„Können die Kundschafter der Apachen nicht auch dorthin?“
„Sie könnten wohl, aber wir lassen sie nicht.“
„Da müßtet ihr sie also verjagen, und doch sollen wir nicht merken lassen, daß wir von ihrer Gegenwart wissen. Wie reimt Ihr das zusammen, Mr. Stone?“
„Sehr leicht. Wir dürfen allerdings nicht tun, als ob wir sie suchen, und können ihnen also nicht verbieten, die Halbinsel zu betreten. Aber diese ist da, wo sie mit dem Ufer zusammenhängt, nur dreißig Schritte breit, und diese Breite verbarrikadieren wir mit unsern Pferden.“
„Pferde als Barrikade? Ist das möglich?“
„Jawohl. Wir binden die Pferde dort an die Bäume; dann könnt Ihr sicher sein, daß kein Indianer sich nähert, da die Pferde ihn durch ihr Schnauben verraten würden. Also wir lassen die Späher ruhig kommen und sich umsehen; die Halbinsel betreten sie nicht. Wenn sie fort sind, um ihre Krieger zu holen, rücken die Kiowas heran und verstecken sich auf der Halbinsel. Dann schleichen sich die Apachen alle herbei und warten, bis wir uns schlafen legen.“
„Wenn sie aber nicht so lange warten?“ fiel ich ihm in die Rede. „Da können wir uns doch nicht zurückziehen!“
„Das wäre auch nicht gefährlich“, antwortete er, „denn die Kiowas würden uns sofort zu Hilfe kommen.“
„Aber das würde nicht ohne Blutvergießen ablaufen, und grad das wollen wir vermeiden.“
„Ja, Sir, hier im Westen darf es auf einen Tropfen Blut nicht ankommen. Aber habt nur keine Sorge! Grad ganz dasselbe wird die Apachen abhalten, uns anzugreifen, während wir noch wach sind. Sie müssen sich doch sagen, daß wir uns verteidigen würden, und wenn wir auch nur zwanzig Köpfe zählen, so würden doch sicher mehrere von ihnen fallen, ehe es ihnen glückte, uns unschädlich zu machen. Nein, die schonen ihr Blut und Leben ebenso wie wir das unserige. Darum werden sie warten, bis wir uns schlafen gelegt haben, und dann lassen wir schnell das Feuer ausgehen und retirieren nach der Insel.“
„Und was tun wir bis dahin? Können wir arbeiten?“
„Ja; nur müßt Ihr zur entscheidenden Stunde hier sein.“
„So wollen wir keine Zeit versäumen. Kommt, Mesch'schurs, damit wir noch etwas fertigbringen!“
Sie folgten meiner Aufforderung, obgleich es ihnen wohl nicht wie arbeiten war. Ich bin überzeugt, daß sie alle davongelaufen wären, aber dann wäre die Arbeit nicht beendet worden, und dann hatten sie dem Kontrakt nach keine Bezahlung zu verlangen. Die wollten sie doch nicht einbüßen. Und wenn sie dennoch die Flucht ergriffen hätten, die Apachen wären doch schnell hinter ihnen her gewesen. Nein, sie sahen ein, daß ihre Sicherheit hier die relativ größte war, und darum blieben sie.
Was mich betraf, so gestehe ich aufrichtig ein, daß ich den kommenden Ereignissen ganz und gar nicht gleichgültig gegenüberstand. Es hatte sich ein Zustand meiner bemächtigt, ähnlich demjenigen, welchen man im gewöhnlichen Leben Kanonenfieber zu nennen pflegt. Das war nicht etwa Angst, o nein, denn zur Angst hätte ich viel mehr Veranlassung gehabt, als ich die Büffel und dann den Bären erlegte. Heut handelte es sich um Menschen; das war es, was mich beunruhigte. Um mein Leben handelte es sich weniger; das würde ich schon verteidigen; aber Intschu tschuna und Winnetou! Ich hatte während der letzten Tage so viel an Winnetou gedacht, daß er mir innerlich immer nähergetreten war; er war mir wert geworden, ohne daß es seiner Gegenwart bedurft hatte, gewiß ein eigenartiger seelischer Vorgang, wenn auch nicht grad ein psychologisches Rätsel. Und sonderbar! Ich habe später von Winnetou erfahren, daß er damals ebensooft an mich gedacht hat wie ich an ihn!
Meine innere Unruhe wurde auch durch die Arbeit nicht geändert, doch wußte ich gewiß, daß sie im Augenblick der Entscheidung plötzlich verschwinden werde; darum wünschte ich mir diese nun, da ihr nicht auszuweichen war, recht schnell herbei. Dieser Wunsch sollte in Erfüllung gehen, denn es war erst wenig nach Mittag, so sahen wir Sam Hawkens auf uns zukommen. Der kleine Mann war sichtlich ermüdet, aber die kleinen, listigen
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