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0104 - Portaguerra

0104 - Portaguerra

Titel: 0104 - Portaguerra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wunderer
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wuchsen sie bestimmt nicht, und sie konnte sich nicht vorstellen, daß man jeden zweiten Tag frische Blumen aus dem Tal holte. Sie ging zu einem der ersten Tische und beugte sich zu der Vase.
    »Kunstblumen, Mademoiselle«, sagte eine dunkle Stimme in ihrem Rücken. »Seidenblumen aus Paris. Gefallen sie Ihnen?«
    Jane richtete sich rasch auf und drehte sich um. Vor ihr stand ein massiger Mann, der sie um einen Kopf überragte. Im Gegensatz zu Shaun Loughelin spannte sich sein Hemd nicht über Muskeln sondern über Fettpolstern. Nur der Gürtel hielt die Hose auf dem kugelrunden Bauch. Zur Sicherheit hatte er auch Hosenträger befestigt. Sein kreisrundes Mondgesicht war erschreckend blaß, die Haut zerknittert wie Papier, das man zwischen den Händen zerrieben hat.
    »Ich dachte, es wären echte Blumen«, antwortete Jane ebenfalls auf Französisch.
    »Ach, Sie sind Mademoiselle Collins.« Der Mann wechselte in Janes Muttersprache über. Er beherrschte sie recht gut. »Ich war zwei Jahre in London«, erklärte er sofort. »Ich bin Pierre Lerois. Sie sind mit Monsieur Sinclair gekommen, um uns zu helfen? Sie wollen unsere Söhne suchen?«
    Jane nickte. »Wir werden tun, was wir können«, versicherte sie.
    Erst jetzt fiel ihr die müde, kraftlose Haltung des Hotelbesitzers auf.
    Er war ein Kerl, der trotz seines Wohlstandspecks Bäume hätte ausreißen können. Trotzdem wirkte er wie jemand, der jeden Moment zusammenbrechen konnte. »Ich fürchte, ich war unvorsichtig, Monsieur Lerois«, sagte Jane lächelnd, um die Befangenheit loszuwerden. Sie hatte Mitleid mit dem Ehepaar Lerois, wollte es jedoch nicht zeigen, um es den Leuten nicht noch schwerer zu machen.
    »Ich kam zu dünn angezogen an und friere eigentlich jetzt noch. Könnte ich bitte Tee mit Rum oder Cognac bekommen?«
    Sein Lächeln fiel maskenhaft starr aus. »Sicher, Mademoiselle! Kommen Sie!«
    Er führte Jane in die Hotelbar, einen kleinen, hübsch eingerichteten Raum, in dem nur die Theke mit vier Hockern und drei Tische Platz hatten. Mit einem Handgriff schaltete Monsieur Lerois die Wandlampen mit den gelben Schirmen ein. Gedämpftes Licht breitete sich aus.
    Während er Jane den Rücken zuwandte, um den Tee zu kochen, sprach er leise, als führte er ein Selbstgespräch. »Sie und Monsieur Sinclair sind unsere letzte Hoffnung. Genauer gesagt, Sie sind meine letzte Hoffnung.«
    »Dann glaubt Ihre Frau nicht, daß wir etwas erreichen können?« fragte Jane erstaunt. »Bei unserer Ankunft hatte ich einen anderen Eindruck. Ihre Frau schien sogar sehr aufgeregt zu sein. Sie konnte gar nicht abwarten, daß wir mit unserer Suche beginnen.«
    Mit einem tiefen Seufzer drehte er sich zu ihr um. Bei der künstlichen Beleuchtung in der Bar wirkten seine Augen wie Glas. Sein Mund lächelte ganz automatisch und geschäftsmäßig. »Ich wollte sagen, daß meine Frau noch eine andere Hoffnung hat. Aber lassen Sie sich ihr gegenüber nichts anmerken, daß ich es Ihnen erzählt habe.«
    Der Wasserkessel pfiff. Jane wartete ungeduldig, bis der Hotelbesitzer den Tee aufgegossen hatte und weitersprach.
    »Sie… sie hat ihre Söhne sehr geliebt«, sagte Pierre Lerois erstickt. »Sie hat ihr Verschwinden nicht verkraftet und spricht manchmal irre. Dann behauptet sie, daß unsere Söhne über den Berg wandern und nachts auch in die Nähe des Hotels kommen.« Er schluckte schwer. Es war ergreifend, wie diesem bärenhaften Mann die Tränen in die Augen stiegen. Er wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht und schüttelte den Kopf. »Wir sind ziemlich harte Menschen hier in den Bergen, Mademoiselle Collins. Aber wenn Sie meine Frau hören könnten… nachts … wenn sie am Fenster steht und nach Jean, Jacques und Jerome ruft. Sie läßt es sich nicht ausreden, daß sie sich etwas einbildet. Sie sieht sie.«
    »Haben Sie auch schon einmal aus dem Fenster geblickt, wenn Ihre Frau die Verschollenen sah?« erkundigte sich Jane vorsichtig.
    Pierre Lerois schüttelte den Kopf. »Ich mache mich doch nicht selbst zum Narren«, murmelte er düster.
    »Sie halten es also für ausgeschlossen?«
    »Absolut ausgeschlossen! Die kommen nie zurück!«
    »Man soll nie ›nie‹ sagen, Monsieur Lerois!«
    Der Wirt nahm eine Cognacflasche aus dem Regal vor der Spiegelwand und schenkte Jane eine Tasse halb mit Tee, halb mit Cognac voll. »Hören Sie bloß auf!« rief er heftig. Die Flasche in seiner Hand zitterte. »Ich weiß nicht, wo unsere Jungen sind, aber sie leben nicht mehr. Das

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