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0104 - Portaguerra

0104 - Portaguerra

Titel: 0104 - Portaguerra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wunderer
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zugenagelt. An den Tischen brannten kleine Zierlämpchen aus Messing mit roten Hüten. Abends verbreiteten sie stimmungsvolles Licht. Jetzt sollten sie den tristen Morgen verschönern. Wenn ich jedoch einen Blick quer durch den Saal warf, kam es mir eher so vor, als sähe ich einen Friedhof zu Allerheiligen, wenn auf jedem Grab ein Licht brannte.
    Die Gäste aßen schweigend. Das Personal bewegte sich fast lautlos. Nur ab und zu hörte man einen Löffel auf einer Untertasse klirren. Es klang wie das Dröhnen einer Glocke.
    Pierre und Anouk Lerois kümmerten sich an diesem Morgen wieder um das Hotel. Aber wie sahen die beiden aus!
    Sie war nur mehr ein Schatten mit tief in den Höhlen liegenden Augen und den langsamen, fahrigen Bewegungen einer Süchtigen, die bis zu den Augenbrauen voll mit Stoff war. Ich hatte solche bedauernswerte Drogenopfer schon zur Genüge gesehen. Bei Anouk Lerois wußte ich jedoch, daß es keine Drogen waren, sondern das Wissen um die zweite Existenz ihrer drei toten Söhne.
    Pierre Lerois sah auf den ersten Blick besser aus, aber das lag an seinem feisten Gesicht. Wenn man ihn genauer betrachtete, wunderte man sich, daß dieser Mann sich überhaupt noch auf den Beinen hielt.
    Shaun kam an unseren Tisch und setzte sich mit einem knappen Kopfnicken. »Ich habe Sergeant Ladono angerufen, er kommt mit der ersten Gondel herauf zu uns«, flüsterte er. Trotzdem wandten sich sofort alle in unsere Richtung. Es hatte sich herumgesprochen, wer wir waren. Außerdem wußten die Gäste, was in der letzten Nacht vorgefallen war. Adriana Maledusas Rettung hatte viel Aufsehen erregt. Der Angriff der Untoten auf das Hotel ebenfalls.
    »Was für ein Mensch ist dieser Sergeant?« erkundigte ich mich.
    »Wird er uns Schwierigkeiten machen?«
    »Was sollte er schon tun?« fragte Shaun dagegen. Der rothaarige Hüne fuhr sich über die Augen. Von zu wenig Schlaf waren sie klein geworden. »Ach, zum Teufel, meine Frau war sauer, daß ich nicht nach Hause gekommen bin. Ich hatte ganz vergessen, ihr gestern abend Bescheid zu sagen. Kein Wunder, bei diesen Aufregungen.«
    Der Sergeant kam um neun Uhr vormittags. Er war entsetzlich lang und genauso dürr, überragte mich um mehr als einen Kopf und besaß eine Nase, mit der man Brot schneiden konnte. Ich erinnerte mich nicht, jemals einen Menschen mit einem so dünnen Nasenrücken gesehen zu haben. Außerdem lächelte er nie und sprach sehr wenig. Ich bekam aus dem ungefähr vierzigjährigen Sergeanten der französischen Gendarmerie nur heraus, daß er ebenfalls ein geübter Bergsteiger war.
    »Sie können sich jederzeit bei Scotland Yard, erkundigen und meine Angaben überprüfen«, erklärte ich zuletzt. »Selbstverständlich habe ich keine Polizeigewalt in Ihrem Land, aber ich war schon oft im Ausland im Einsatz.«
    Wortlos entfaltete der Sergeant seine lange Gestalt und verließ den Speisesaal, in dem wir unser Gespräch geführt hatten. Wir warteten ungeduldig. Letztlich konnte er uns keine Knüppel zwischen die Beine werfen, weil wir offiziell nur als Touristen hier waren, aber ich arbeitete lieber friedlich mit meinen ausländischen Kollegen zusammen.
    Als er wiederkam, war seinem schmalen Gesicht keine Regung anzusehen. Die dünnen Lippen bewegten sich kaum, während er sagte: »In Ordnung, Sie können frei arbeiten. Meine Vorgesetzten in Grenoble haben grünes Licht gegeben.«
    Shaun grinste schwach. »Das war die längste Rede, die du je gehalten hast, Maurice«, verkündete er. »Schick einen Suchtrupp in die Wand, damit sie sich nach Gasconne und diesem Italiener umsehen.«
    »Ist schon unterwegs«, sagte der Sergeant und wandte sich an mich. »Was werden Sie tun, Monsieur l’Inspecteur?«
    Diese direkte Frage überraschte mich. »Kann mir jemand genauere Auskunft über Portaguerra geben?«
    Maurice Ladono verzog das Gesicht. Er machte eine abfällige Handbewegung. »Ich selbst halte nichts von Ihrer Theorie, Monsieur Sinclair. Aber bitte, wenn Sie wollen… nein, Shaun hat Ihnen alles erzählt, was es zu wissen gibt. Wenn Sie mehr über Portaguerra erfahren wollen, müssen Sie ihn schon selbst fragen!«
    Zwischen den strichdünnen Lippen erklang abgehacktes Gelächter, das wie abgerissen endete, als ich sagte: »Keine schlechte Idee, das werde ich machen!«
    »John, bist du verrückt?« rief Shaun. »Das kannst du nicht! Er würde dich umbringen!«
    »Ich werde auf mich aufpassen«, sagte ich ernst. »Shaun, überlaß das mir. Es ist meine Aufgabe, diese

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