0106 - Der Komet aus der Hölle
wenige Monate später wieder sein Unwesen getrieben haben, schlimmer denn je. Über sein Ende wußten die Anwesenden nichts auszusagen.
Nikolaj Kapnin wollte die Tscheka verständigen, die Geheimpolizei, die direkt dem Zentralkomitee der allmächtigen Partei unterstellt war. Im Moment konnte man nichts tun. Zamorra stieg in die dunkle Tatra-Limousine Nikolaj Kapnins ein und saß grüblerisch zwischen Jurij Techow und Bill Fleming. Dr. Kapnin hatte auf dem Beifahrersitz neben dem Chauffeur Platz genommen.
Die Wagen fuhren in langer Reihe über den Feldweg zur Chaussee. Zamorra war über Nicole Duvals Schicksal erschüttert, die Ungewißheit marterte ihn. Bill Fleming erging es nicht anders.
Vor einer halben Stunde hatte Nicole noch mit ihnen gescherzt und geplaudert. Jetzt war sie fort, vielleicht für immer. Vielleicht lebte sie schon nicht mehr, vielleicht starb sie gerade in diesem Augenblick unter Qualen.
»Meinst du, Nicole ist noch am Leben, Zamorra?« fragte Bill.
»Ich weiß es nicht. Ich hoffe es, denn solange sie noch lebt, besteht Hoffnung, sie zu retten. Wir müssen alles über Stenka Badzak herausfinden. Gospodin Techow, wie ist das mit Ihrer Frau? Sie stammt von Larissa Czerskaja ab?«
Zamorra redete Französisch mit dem Major. Er beherrschte diese Sprache fast ebensogut wie sein Onkel und sprach auch Englisch- Gospodin war eine russische Anrede und bedeutete Herr, Gospoda Frau oder Fräulein.
»Das sind alte Geschichten«, antwortete Techow, der auch sehr entsetzt und besorgt war. »Nie hätte ich gedacht, daß an diesen Erzählungen etwas Wahres sein könnte. Ich habe mich nie besonders dafür interessiert. Meine Frau kann Ihnen mehr erzählen.«
Zamorra spielte geistesabwesend mit seinem Amulett. Zwischen ihm und Nicole bestand eine tiefe innere Verbundenheit. Er wollte sich noch in dieser Nacht Gewißheit verschaffen, ob Nicole lebte oder tot war.
Zamorra hatte den ersten Schock überwunden. Sein scharfer Verstand arbeitete auf Hochtouren. Er wußte, daß er einer gewaltigen dämonischen Macht gegenüberstand, gegen die sein Amulett nichts nützte. Er war ganz auf seinen Verstand, sein Wissen und seine Fähigkeiten angewiesen, vielleicht auch auf seinen durchtrainierten Körper.
Die Limousine bog zu Kapnins Datscha in der Nähe des Ortes Dolina ab. Die anderen Wagen und die zwei Lastwagen mit dem erlegten Wild fuhren auf der Chaussee weiter. Die ausländischen Diplomaten würden sich hüten, den Spuk allzusehr an die große Glocke zu hängen.
Sie wollten ihn am liebsten vergessen und sich einreden, es sei eine Sinnestäuschung, ein Wetterballon oder sonst etwas Natürliches gewesen. Ins sozialistische Weltbild der Bürger der UdSSR paßten ohnehin keine Geistererscheinungen. Alles, was sich rational nicht erklären ließ, wurde erst einmal als Staatsgeheimnis behandelt und möglichst totgeschwiegen.
So würde es auch in diesem Fall geschehen, aber das hieß nicht, daß der Fall einfach ignoriert wurde. Im Gegenteil, einige Tschekisten und Polizeikommissare hatten schlaflose Nächte vor sich.
Denn ein Gast eines einflußreichen Mannes, eines Angehörigen des Obersten Sowjet, der einige hundert Mitglieder hatte, war verschwunden.
Die Limousine stoppte vor der Datscha, einem flachen, aber großräumigen Holzhaus mit Sauna und allen Raffinessen. Ein hoher, elektrisch geladener Zaun schloß das Grundstück ab, zwei Schäferhunde streiften nach Einbruch der Dunkelheit im Freien umher.
Nikolaj Kapnin wollte nicht gestört werden. Er zog sich oft auf seine Datscha zurück, um sich Forschungsarbeiten zu widmen oder an seinen wissenschaftlichen Werken zu schreiben. Oder um Ruhe zu haben und Abstand vom politischen Alltag zu gewinnen.
Kapnin hatte als hoher Funktionär drei Hausangestellte. Svetlana Techowa, die Frau seines Neffen, weilte zu Besuch auf der Datscha.
Kapnin und seine Gäste hatten diesen Abend im kleinen Kreis am Kamin verbringen wollen.
Doch jetzt war Grauenvolles geschehen. Svetlana Techowa sah es sofort, als die Männer aus dem Wagen ausstiegen und in die Diele traten. Kapnins Chauffeur brachte den Wagen in die Garage.
Er war, ebenso wie die Hausangestellten, mit den Wachhunden vertraut und mußte von ihnen nichts befürchten.
»Was ist, Nikolaj?« fragte Svetlana. »Wo ist die Gospoda Duvalinska?«
»Du wirst es gleich hören«, sagte Kapnin. »Redet im Kaminzimmer, das Essen kann warten. Ich will gleich mit dem Tschekahauptquartier in Kiew telefonieren.«
»Bei diesem
Weitere Kostenlose Bücher