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0112 - Acht Minuten nach Mitternacht

0112 - Acht Minuten nach Mitternacht

Titel: 0112 - Acht Minuten nach Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Acht Minuten nach Mitternacht
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vorkomme wie Ihre Schwester. Eigentlich wäre es nett, so einen großen Bruder zu haben.«
    »Sehr nett«, meinte ich und las weiter.
    Ein Kompliment war es gerade nicht, das sie mir gemacht hatte. Es hätte nur noch gefehlt, dass sie anstatt Bruder Onkel gesagt hätte.
    Wir gingen früh schlafen, und am Morgen - es war ja Sonntag - rief ich Mr. Humphrey in seiner Privatwohnung an. Anscheinend hatte er noch geschlafen, denn er war sehr ungehalten, dass ich ihn so früh störte.
    »Ich brauche die Adresse Ihre Tippmamsell«, sagte ich.
    »Wozu?«
    »Ich will ihr einen Heiratsantrag machen. Ich bin verliebt in sie«, behauptete ich.
    »Lassen Sie Ihre albernen Scherze«, schnauzte er. »Ich bin nicht verpflichtet, Ihnen Auskunft zu geben.«
    »Mr. Humphrey.« Jetzt wurde ich dienstlich. »Ich habe Ihre Angestellte einiges zu fragen, das keinen Aufschub duldet. Wo wohnt sie also?«
    »Das kann ich Ihnen aus dem Handgelenk nicht sagen. Ich habe mich nie darum gekümmert. Ihre Papiere liegen im Büro, und das ist heute geschlossen.«
    »Dann werden Sie es eben öffnen müssen. Es ist jetzt neun Uhr. In einer halben Stunde erwarte ich Sie dort.«
    Er versuchte, zu protestieren, aber ich ließ mich auf nichts ein. Ich drohte ihm freiweg, ich würde ihn abholen lassen, wenn er nicht pünktlich sei.
    Mr. Humphrey war pünktlich, schwer beleidigt und, wenn ich mich nicht irrte, ängstlich, aber das war er ja immer. Dann wollte er absolut wissen, was ich von dem Mädchen wolle.
    »Sie hat Dinge ausgeplaudert, die ihre Klienten betreffen und sich dafür bezahlen lassen«, sagte ich.
    »Das ist unglaublich.«
    »Aber wahr. Ich weiß es positiv, und sie kann unter Umständen deshalb schwere Unannehmlichkeiten bekommen.«
    »Am Montag werfe ich sie hinaus«, erklärte er energisch, und ich konnte ihm das durchaus nicht verdenken.
    Trotzdem fragte ich, was er der Kleinen denn in der Woche bezahle, und als er mir den Betrag von fünfzig Dollar nannte, kam mir die Verfehlung des Mädchens nicht mehr so schwer vor.
    »Geben Sie der nächsten ein anständiges Gehalt, Mr. Humphrey, sonst riskieren Sie, dass Ihnen dasselbe von neuem passiert«, riet ich ihm.
    Das Mädchen hieß Ellen Aire und wohnte bei ihrer Mutter.
    Als sie mich sah, bekam sie einen heillosen Schrecken. Ich sagte ihr auf den Kopf zu, was sie getan hatte, und schon nach einem kurzen verzweifelten Versuch zu leugnen, gestand sie heulend, sie habe nötig Geld gebraucht und nichts dabei gefunden, als eines Tags ein Mann in Abwesenheit des Anwalts darum gebeten hatte, sie möge ihn unter einer Postlageradresse benachrichtigen, wenn Miss Masters käme. Sie hatte nichts dabei gefunden, da der Betreffende zuerst nach Humphrey gefragt hatte und sich außerdem als alter Freund von Robin Masters ausgab.
    »Sie hätten aber doch merken müssen, dass etwas nicht stimmte«, sagte ich streng. »Einer gleichgültigen Auskunft wegen wirft doch niemand mit Fünfzig Dollarscheinen um sich.«
    »Er sagte, er hätte Mr. Humphrey genauso bezahlen müssen und wollte das Geld lieber mir zukommen lassen. Ich könne es wohl besser gebrauchen«, erklärte sie schluchzend.
    »Trotzdem ist fünfzig Dollar nicht doch zuviel?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Mr. Humphrey berechnet niemals weniger.«
    Der alte Lump verlangte also für eine ganz einfache Information, die ihn nichts weiter kostete als das Diktat eines kurzen Briefes, den gleichen Betrag, den er seiner Angestellten für die Arbeit einer ganzen Woche vergütete. Unter diesen Umständen konnte ich die Kleine und ihre Handlungsweise begreifen. Immerhin war sie durch den ihr bevorstehenden Hinausschmiss genügend bestraft. Ich ließ mir eine Beschreibung des Besuchers geben, die einwandfrei auf Kantor passte. Dann empfahl ich ihr, sich für die Zukunft vorzusehen und sich eine Stellung zu suchen, in der sie soviel bekam, wie sie für sich und ihre Mutter benötigte.
    Zum Schluss gab ich ihr noch ein paar Tipps, die mir wichtig erschienen. Ich sagte ihr, sie solle sich eine anständige Brille und einen vernünftigen Lippenstift zulegen. Dann werde sie wohl auch mehr verdienen. Sie sah mich dämlich an, aber versprach, meinen Rat zu befolgen. Als ich ging, hatte ich trotz allem das Gefühl, dem Mädchen letzten Endes auf die Beine geholfen zu haben. Ich hatte mich darin sogar nicht einmal getäuscht. Als ich ein paar Wochen später bei einer der besten Anwaltsfirmen von Manhattan vorsprach, empfing mich eine vollständig veränderte und

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