0117 - Der Rattenkönig
der Chinese den Hang hoch. Zwei Schwalben segelten über ihm auf die Burgmauer zu und verschwanden dort zwischen den dicken Steinen.
Suko schaffte auch den Rest.
Vor der Mauer blieb er stehen und gönnte sich eine kleine Pause.
Von dieser Stelle aus hatte er einen prächtigen Blick in das Land hinaus. Er sah die zahlreichen Hügel, Wälder und Wiesen. Über allem lastete die Glut der Sonne.
Danach schaute sich der Chinese die Mauer an.
Er war zufrieden, denn er hatte zahlreiche Spalten und Risse im Gestein entdeckt, die, wenn er die Füße dazwischen klemmte, sein Gewicht durchaus halten würden.
Suko begann zu klettern.
Es war schon eine kleine artistische Leistung, wie er es schaffte, im Zickzack hochzuklettern. Er nutzte jede Lücke und jeden Vorsprung aus.
Schon bald sah er die Krone, legte den Kopf in den Nacken und schaute hoch.
Keine Ratte zu sehen.
Das gab Suko Mut, weiter zu klettern. Er schaffte es ohne große Gefahren, bis an die Mauerkrone zu kommen. Ein letzter Griff, und seine rechte Hand legte sich um das Gestein.
Die linke folgte.
Suko holte tief Luft, sammelte seine Kräfte für einen Klimmzug und war oben.
Er schwang sein rechtes Bein hoch, legte es auf die Mauerkrone und zog das andere nach.
Über den Rand hinweg konnte Suko in den Burghof peilen, in dem sich nichts bewegte.
Einen halben Meter unter ihm lief ein Wehrgang parallel zur Burgmauer entlang. Den konnte Suko benutzen.
Er machte einen langen Schritt und stand auf dem Gang.
Suko schaute sich um.
Der Wehrgang führte zum Turm, und von dort aus würde Suko sicherlich auch in den Schloßhof gelangen, denn springen konnte er nicht, die Distanz war zu groß.
Der Chinese lief geduckt los. Er überzeugte sich, ob auch noch alle Waffen vorhanden waren.
Leider hatte Suko auf dem Rücken keine Augen, und so sah er nicht, was sich hinter ihm anbahnte.
Die Ratten kamen.
Sie hatten in den zahlreichen Spalten und Ritzen innerhalb der Burgmauer gelauert und abgewartet, bis Suko auf dem Wehrgang stand. Jetzt hielt sie nichts mehr auf.
Sie huschten los.
Es waren mindestens 20 Tiere, die sich an die Verfolgung machten. Sie waren schnell, gierig und übereifrig. Oft fielen sie übereinander, weil die ersten das Tempo nicht mithalten wollten, was die hinteren dazu veranlaßte zu drücken und zu schieben. Manche Ratten fielen in den Hof, doch es blieben noch genügend übrig, um Suko Schwierigkeiten zu bereiten.
Die Biester liefen nicht lautlos.
Suko hörte sie.
Er vernahm das Trappeln der Füße auf dem nackten Gestein und drehte sich um.
Im ersten Augenblick stand er starr. Er sah die Ratten auf sich zulaufen, und in seinem Hirn überschlugen sich die Gedanken.
Sollte er sich stellen oder zur Turmtür rennen?
Die Entscheidung wurde ihm abgenommen, denn die Biester waren plötzlich heran, und bevor Suko sich versah, stießen sich die ersten schon ab.
Einen Atemzug später krallten sie sich bereits an Sukos Kleidung fest…
***
Ich hatte die letzten Worte gehört.
»Die Ratten werden dich zerfetzen«! Reizende Aussichten, aber noch war es nicht soweit, noch konnte ich mich wehren.
Das tat ich auch.
Bevor die Viecher von der Bühne springen konnten, jagte ich auf Rocky Koch zu.
Überrascht riß er die Augen auf, schaute mir entgegen, war jedoch zu keiner Gegenwehr fähig.
Ich packte ihn, schleuderte ihn herum, nahm ihn in den Griff und zog meine Beretta.
Die kalte Mündung setzte ich an seine Stirn. »Okay, Freund!« zischte ich ihm ins Ohr. »Jetzt bin ich an der Reihe. Verstanden?«
»Ja«, krächzte er.
Ich warf einen Blick auf die Bühne. Dort waren die Ratten in Bewegung geraten. Sie spürten und sahen auch, daß etwas nicht stimmte. Sie wurden unruhig, scharrten mit ihren Füßen und liefen aufgeregt hin und her, so daß man meinen konnte, der gesamte Bühnenboden wäre in ständiger Bewegung.
Und nicht nur die Ratten bewegten sich, auch die Steinfigur.
Dieses menschengroße Biest wollte nicht zusehen.
Für mich wurde es noch gefährlicher, und ich mußte mich höllisch beeilen.
»Wenn du einen Ton sagst, geht es dir schlecht!« drohte ich Rocky Koch. »Okay?«
»Was wollen Sie?«
»Ich will hier raus. Und zwar mit dir. Wir beiden werden den Raum verlassen, und du bringst mich zu dem Mädchen.«
»Sie haben keine Chance!«
»Das laß meine Sorge sein.« Ich schleuderte ihn herum und drückte ihn auf die Tür zu.
Aus den Augenwinkeln hielt ich dabei die Bühne im Blickfeld, wo weiterhin die makabre Schau
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