0117 - Der Rattenkönig
Urlaub machte.
Sachen gibt’s…
»Ich soll dich nach Hause bringen!« drängte ich. »Komm, laß die Ratten, wo sie sind.«
»Hm.« Sie überlegte.
»Deine Eltern warten.«
»Kann ich denn wieder zurück?« fragte die Kleine und legte den Kopf schief.
Mir war alles recht, wenn ich nur hier raus kam. »Natürlich kannst du wieder zurück.«
Sweety strahlte. »Das ist toll. Dann können wir ja jetzt gehen, Mr. Sinclair.«
Puh, das war geschafft. Ich drehte mich um und wollte zur Tür, doch Sweety hatte etwas dagegen.
»Nicht da raus. Wir gehen woanders hin.«
War mir auch recht, denn im Gang lauerte sicherlich die gefräßige Meute. Nur – wo wollte die Kleine langgehen?
Sweety schritt auf die Wand zu, während die Ratten neben ihr her liefen und an ihren nackten Waden entlangstrichen. Manchmal rieben sie sogar ihr Fell daran.
Vor der Wand blieb das Kind stehen, hob den rechten Arm und tastete mit den Finger in einer schmalen Steinspalte herum. »Ich hab’s!« rief sie.
Im nächsten Moment hörte ich das knackende Geräusch. Dann erfolgte ein Knirschen, und die Wand geriet in Bewegung. Zur Hälfte schwang sie nach außen.
Vor uns lag ein dunkler Gang.
»Nimm eine Fackel mit«, riet die Kleine.
Himmel, ich machte ja alles, was sie wollte. Wenn ich nur aus dieser Burg rauskam.
Ich mußte Kraft einsetzen, um die Fackel aus der Halterung zu bekommen. Das Holz hatte sich verkantet.
Das Mädchen stand schon an der Tür, während sich die Ratten um seine Beine geschart hatten.
»Bin schon da«, sagte ich und lächelte.
Die Biester machten mir Platz. Sie huschten zur Seite, als ich den Gang betrat.
Er war ziemlich niedrig, so daß ich den Kopf einziehen mußte.
Zudem hatte man den Boden diesmal nicht mit Steinen belegt. Ich ging auf der nackten Erde und mußte achtgeben, daß ich nicht über Unebenheiten stolperte.
Sweety hielt sich an meiner Seite. Wir beide waren von den Ratten eingekreist, doch sie taten uns nichts. Komisch war das schon, denn so ganz konnte ich mich nicht daran gewöhnen.
Der Schein strich über die dicken Lehmwände, die feucht glänzten. Dieser Teil hier mußte noch zu den uralten Regionen der Burg gehören, und der Stollen sah mir ganz nach einem Fluchtgang aus.
Niemand von uns sprach. Nur das Trappeln der Rattenfüße war zu hören.
»Wo führst du mich eigentlich hin?« fragte ich nach einer Weile.
»In den Turm.«
»Und was sollen wir da?«
»Von dort aus gibt es einen Weg. Du willst doch die Burg verlassen oder nicht?«
»Natürlich, mit dir zusammen.«
»Ich weiß nicht, ob man mich läßt.«
Ich warf der Kleinen einen knappen Blick zu. »Verstehe ich nicht. Wer sollte dich denn nicht lassen?«
»Dworsch!«
Ich war überrascht und schockiert zugleich. »Du kennst dieses Monster?«
»Dworsch ist kein Monster. Er sieht nur anders aus. Außerdem hat er mir versprochen, mich in ein wunderschönes Land mitzunehmen. Da sollen nur Blumen blühen, und es scheint auch immer die Sonne. Das hat er mir gesagt. Aber ich will erst meine Eltern fragen.«
Ich konnte mir vorstellen, welches Land Dworsch meinte. Die Dimensionen des Grauens, wo Heulen und Zähneklappern herrschte und das Chaos an der Tagesordnung war.
Nein, auf keinen Fall durfte Sweety mitgehen. Ich würde alles tun, um dies zu verhindern. Das jedoch sagte ich ihr nicht, sondern behielt es vorerst für mich.
Ich hielt die Fackel ausgestreckt in der Hand und glaubte, daß der Gang höher wurde.
Tatsächlich.
Ich konnte wieder normal gehen und atmete auf, als der Lichtschein gegen eine Holztür fiel.
»Wir sind da«, sagte Sweety. Sie legte einen Finger vor ihre Lippen. »Du mußt jetzt ruhig sein.«
»Sicher.«
Sweety ging vor. Sie mußte die Hand heben, um an die Klinke zu gelangen.
Die Ratten tanzten um die Kleine herum, warfen sich gegen die Tür oder liefen aufgeregt hin und her.
Was lag dahinter?
Ich sollte es bald erfahren, denn plötzlich hörte ich einen dumpfen Fluch.
Die Stimme kannte ich.
Sie gehörte Suko!
Mich hielt nichts mehr auf dem Fleck. Mit zwei gewaltigen Schritten sprang ich vor, zertrat dabei eine Ratte und riß die Tür selbst auf, bevor Sweety sie öffnen konnte.
»Nein!« rief sie. »Du mußt aufpassen. Dahinter sind Dworsch und seine Freunde. Sie werden dich…«
Ich hörte gar nicht hin, sondern sprang in den Turm…
***
Suko hing nach wie vor gefangen im Netz. Die Seile, die es festhielten, waren an den Mauern angebracht. Sie liefen dort durch Rollen, damit man das
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