0119 - Der Weiße Magier
Ich berichtete.
Suko rieb sich bereits die Hände. »Dann steht uns ja eine schöne Reise bevor. Wollte schon immer mal in die Karibik.«
Zehn Minuten später traf der Bote ein. Er lieferte einen Umschlag ab und ging wieder.
Ich breitete die Karten auf dem Tisch aus. Gemeinsam beugten wir uns darüber.
Die Insel Caligro Island lag östlich von Kuba, gar nicht mal weit von den Bahamas entfernt, und am südwestlichen Rand des Saragossa-Meeres. Sie war auch auf der Spezialkarte nur ein kleiner Flecken im Blau des Meeres. Eine Ortschaft war erst gar nicht eingezeichnet.
Ich klappte die Karte zusammen. »Dann wissen wir ja, wo wir hinmüssen.«
»Wird ein langer Flug«, bemerkte Suko.
Der Meinung war ich auch. Da ich meinem Chef versprochen hatte, ihn anzurufen, wählte ich seine Nummer.
Ich unterrichtete Sir James Powell von dem, was uns Myxin gesagt hatte.
Powell war einverstanden. »Natürlich fliegen Sie.«
»Mit Suko und Myxin.«
»Meinetwegen auch das.«
Wir sprachen noch ein paar Minuten über organisatorische Fragen, dann hatte ich freie Bahn.
Die Tickets bestellte ich ebenfalls telefonisch. Wir konnten bis Port au Prince, der Hauptstadt der Republik Haiti, fliegen. Von dort mußten wir dann selbst sehen, wie wir an unser Ziel gelangten.
Wahrscheinlich mit einer Chartermaschine.
»Ich gehe rüber zu Shao und informiere sie«, sagte Suko.
»Tu das.«
Suko verschwand, und ich packte meinen Koffer. Während ich die leichten Kleidungsstücke hineinwarf, mußte ich immer wieder an die Conollys denken.
Hoffentlich bewahrheitete sich Myxins Aussage nicht so schnell…
***
Wer in Evita Torres’ Glutaugen schaute, war fasziniert. Doch nun nistete in den Pupillen die Angst.
Ja, Evita hatte Angst.
Nicht erst, seitdem ihr Bruder sie gewarnt hatte.
Deutlich klangen ihr noch Juans Worte in den Ohren.
»Du mußt fliehen!« hatte er in verschwörerischem Ton geflüstert.
»Sie haben ihn erwischt, ich weiß es. Jorge hatte keine Chance. Sie werden ihn töten.«
Evita schaute ihren Bruder nur an. Dann begann sie zu weinen, und das Gefühl der Traurigkeit durchströmte auch den drei Jahre älteren Mann. Er hing an seiner Schwester, und er hatte auch Jorge gemocht, denn sie waren von Kindheit an immer zusammengewesen.
Bis zu dieser Mutprobe.
Jorge hatte sich dazu überreden lassen. Er wollte Evita damit einen Gefallen tun.
Es war nicht geheim geblieben, das Vorhaben hatte sich im Ort herumgesprochen. Wie Juan den Magier kannte, würde er alles daransetzen, um auch Evita in seine Gewalt zu bringen.
Deshalb mußte das Mädchen weg.
Nachts sollte sie mit einem Boot fliehen. Einfach weg, hinaus aufs Meer, das war immer noch besser, als hier auf der Insel zu bleiben, die für Evita nichts anderes war als ein riesiges Gefangenenlager.
Jetzt war die Dunkelheit angebrochen, und Evita wartete auf ihren Bruder. Er wollte sie zum Strand, begleiten.
Juan war pünktlich. Auf leisen Sohlen schlich er in die Hütte am Ortsrand, wo das Mädchen wartete.
Als die Tür knarrte, zuckte Evita herum.
»Ich bin’s nur«, flüsterte der junge Mann und legte einen Finger auf die Lippen. »Bist du bereit?«
Die glutäugige Schönheit nickte.
Juan ließ seine Blicke über die Gestalt des Mädchens wandern.
Was er sah, war wirklich erfreulich.
Evita besaß die biegsame Figur einer Tänzerin. Die Hose saß eng um ihre Hüften, und das dunkle T-Shirt verbarg die kleinen festen Brüste. Das lange dunkle Haar hatte sie im Nacken zu einem Pferdeschwanz gebunden, um ihre Schultern hatte sie eine Stofftasche gehängt.
»Komm, komm!« forderte Juan, der an der Tür stehengeblieben war. »Wir haben nicht viel Zeit.«
Evita schluckte. »Muß es den wirklich sein?«
»Du willst doch jetzt keinen Rückzieher machen?«
»Ich – ich weiß nicht. Jorge, er ist…«
»Mann, Schwester, die Halunken suchen dich. Sie haben schon die Todestrommeln geschlagen. In einer halben Stunde ist Mitternacht, dann holen sie dich. Es ist deine letzte Chance.«
»Und du, Juan?«
»Ich finde mich schon zurecht.«
Evita nickte. Tränen rannen über ihr Gesicht, während sie einen letzten abschiednehmenden Blick durch den Raum warf. Dann setzte sie sich entschlossen in Bewegung und huschte an ihrem Bruder vorbei nach draußen.
Die beiden Geschwister waren allein auf der Welt, nachdem ihre Eltern starben. Der Vater war von einem Hai getötet worden, die Mutter starb aus Gram darüber drei Wochen später.
Sie wohnten zum Glück ziemlich am Ende
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