0119 - Königin der Seelenlosen
Kraft nicht aus. Seine Lungen bliesen wie ein löchriger Blasebalg.
Aber die Schrecken hatten damit noch kein Ende. Sie begannen erst.
Die steinerne Truhe verfärbte sich. Ihre Konturen fingen an zu flimmern und zu verwischen. Der Stein wurde durchsichtig.
Justin Malder sah schemenhaft eine große Schale inmitten wabernder Nebel. Eine blutrote Schüssel mit Kristallfacetten; wie ein riesiger, von Meisterhand geschliffener Rubin.
Darin brodelte eine Nebelbrühe auf. Deutlich sah man Blasen hochblubbern und lautlos zerplatzen. Immer mehr dieser wolkigen Materie produzierte die Schale, bis sie schließlich begann, über die Ränder zu fließen und zu Boden zu sinken.
Die Ränder wälzten sich wie Lavamassen auf van Straaten zu, kamen ihm immer näher, berührten ihn endlich.
Der Körper des Wissenschaftlers zuckte zusammen, als würde man einen Stromstoß hindurchjagen. Der Oberkörper ruckte konvulsivisch hoch. Die Sehnenstränge traten aus dem Hals, das Gesicht war zu einer Maske verzerrt, die kaum mehr etwas Menschliches an sich hatte.
Dann sank der Körper wieder zurück.
Van Straatens Finger rührten sich, ballten sich zur Faust und öffneten sich wieder, als würden sie sich um einen unsichtbaren Griff schließen wollen.
Aber sie faßten nur in diesen Nebel, der dichter und dichter und mehr und mehr wurde, bis er endlich wie ein Wolkenteppich den halben Körper van Straatens einhüllte.
Etwas hämmerte in Justin Malders Schläfen. Ihm war übel. Er fing Gedankensplitter auf. Namen. Bilder. Emotionen.
Rache?
Nein. Das war es nicht.
Mordlust?
Schon eher.
Justin Malder fühlte den unseligen Zwang in sich, aufzustehen, durch die schmale Höllenpforte zu treten und van Straaten zu töten. Er widerstand dieser plötzlichen Regung. Eine unvermutete Ruhe überkam ihn danach. Vielleicht auch der Anklang eines Gefühls von Stolz, wobei er nicht hätte sagen können, worauf er stolz sein sollte.
Weil er diesem Zwang nicht gehorcht hatte?
Absurd!
Doch hier war das Absurde zur Wahrheit gediehen, das Unnormale zum Normalen, der Wahn zur Realität.
Und diese Wahnsinnsrealität entwickelte sich fort.
Justin Malder schaffte es, sich aufzusetzen. Ihm entging keine Einzelheit dessen, was sich drinnen abspielte. Es war unbegreiflich genug, aber Justin Malder hatte es schon längst aufgegeben, sich darüber noch den Kopf zu zerbrechen.
Er war zum bloßen Zuschauer geworden, nachdem er den Angriff auf sein eigenes Denken, auf seinen Willen, abgeschlagen hatte. Er war weder Autor noch Regisseur dieses Stücks. Er konnte nicht eingreifen. Dieses Bewußtsein schmerzte ihn zwar, aber zu ändern war daran nichts.
Der milchigtrübe Nebel löste sich vom Körper van Straatens und stieg einen halben Meter über die Erde, wo er sich zu einer Kugel zusammenballte. Aus dieser Kugel wuchsen Arme und Beine, wuchs ein Kopf, wuchs ein Schemen, das allmählich an Schärfe und Farbigkeit gewann.
Dann stand ein Wesen neben dem Professor, das Justin Malder trotz seines gräßlichen Aussehens keinen Schrecken mehr einjagen konnte.
Er war draußen.
Das Wesen war drinnen.
Er durfte nicht hinein.
Das Wesen konnte nicht heraus.
Ein kürbisgroßer Totenschädel bleckte ihn unter einer dunklen Kapuze an. Der Unterkiefer mahlte. Justin konnte hören, wie die Zähne aneinanderknirschten. Die Gestalt wollte ihm vielleicht etwas mitteilen, doch an seinem sicheren Platz drang kein vernehmbares Wort an die Ohren des jungen Wissenschaftlers.
Da wandte sich das Spukwesen ab, und Justin Malder hatte den Eindruck, als ob es furchtbar wütend auf ihn wäre. Ein verrückter Gedanke! Aber er war nun mal da und blieb in ihm haften.
Zischend fuhr die rechte Knochenhand durch die Luft, griff ein Krummschwert aus dem Nichts, schwang es kreisend über dem Kopf. Beide skelettierten Hände umfaßten den Griff.
Das Wesen stand wie ein Scharfrichter über van Straaten, der sich nicht mehr gerührt hatte. Dunkle Augenhöhlen starrten Justin Malder an. In den Augenhöhlungen tauchte das Abbild desselben Schädels als Pupille auf. Ein makabres Schauspiel.
Malder spürte zwar, daß diese Spukgestalt ihn locken wollte. Er sollte ganz aufstehen und womöglich dem Professor zu helfen versuchen.
Aber daran dachte Justin Malder trotz der unmöglichen Situation überhaupt nicht. Er hatte sich trotz der Monstrosität dieses Erlebens Vernunft genug bewahrt und sah ein, daß van Straaten nicht mehr zu helfen war.
Van Straaten war drinnen .
Das in den
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