012 - Der mordende Schrumpfkopf
alles gut werden!« Vernon verschwand
hinter der Brokatwand.
Da waren die Schritte auch schon vor der Tür. Ohne anzuklopfen,
trat Estrello ein. Anja stand vor dem Spiegel und erneuerte den Eyeliner.
»Das hättest du früher tun sollen, meine Liebe. Wir haben wenig
Zeit. Die Bühnenarbeiter sind mit dem Aufbau gleich fertig!« Estrellos Stimme
klang hart durch den Raum.
Der Magier kam herein und ließ die Tür halb geöffnet. »Aha, Madam
hat wieder ihren Moralischen gehabt. Nun, das werden wir gleich haben.« Er zog
sie an den Schultern herum. »Gleich wirst du wieder glücklich sein, sehr
glücklich sogar. Und Abwechslung wird es auch wieder für dich geben. In ein
paar Tagen sind wir in Quito. Dann machst du einen schönen Einkaufsbummel,
einverstanden?«
Anja nickte mechanisch.
»Komm, sei meine Puppe!« Vier deutlich gesprochene Worte, die
unverhofft aus Estrellos Mund kamen.
Anjas Verhalten änderte sich schlagartig. Vernon bekam jede
Einzelheit mit. Durch einen winzigen Schlitz in der Brokatwand konnte er die
Szene überblicken.
Anjas Körper straffte sich. Sie lächelte, drehte sich wie eine
Ballettänzerin um ihre eigene Achse und schlang die nackten, weichen Arme um
den Hals des Magiers.
Das Stichwort! Komm, sei meine Puppe! Zum erstenmal im
Zusammenleben zwischen Estrello und Anja gab es jemand, der Zeuge einer
Situation wurde, die einen frei denkenden Menschen in der Tat zu einer Puppe
werden ließ.
Anjas silberhelles Lachen erfüllte den Raum. Sie sprühte vor Glück
und Zufriedenheit, sie unterhielt sich mit Estrello, als wäre sie der
glücklichste Mensch auf der ganzen Welt.
Arm in Arm verließen sie die Garderobe. Vernon hielt den Atem an.
Wenn er es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, er würde es nicht geglaubt
haben.
Anja war abgerichtet. Sie war in den Händen ihres Meisters eine
Marionette, die auf die kleinste Bewegung reagierte.
Ungesehen verließ der Franzose mit seinem Begleiter wenig später
den Ort des Geschehens, verbarg sich draußen im Dunkel der Garagen und
Lagerhallen und wartete dort, bis die Vorstellung zu Ende war.
●
Der Lärm der das Theater verlassenden Menschen erfüllte die Nacht.
Mit einem Taxi ließen Anja und Estrello sich zum nahen Hotel fahren. Der
Illusionist wollte dort noch die Rechnung begleichen.
Bertrand hatte sämtliche Utensilien schon eingepackt. Der Bus
stand im Hof des Strandtheaters, und die Bühnenarbeiter brachten die letzten
Kulissenteile, das technische Gerät. Die wichtigsten Dinge, die bereits unter
Verschluß standen, schaffte der Gorilla Bertrand herbei.
Als er mal mit den Bühnenarbeitern zusammenstand und jedem ein
paar Sucre in die Hand drückte - offenbar auf Weisung Estrellos - hielt Vernon
die Zeit für gekommen zu handeln. Mit Kamoo war alles abgesprochen.
Er klopfte dem Eingeborenen auf die Schulter und huschte dann
geduckt im Dunkeln davon.
Ungesehen erreichte er die Seitentür, von der aus der Schlaf- und
Wohnraum innerhalb des Busses zu erreichen war. Daß die Tür nicht verschlossen
war, ging offenbar daraufhin zurück, daß Anja und Estrello gleich abgeholt
werden sollten.
Fünf Minuten später sprang der Motor des Wagens an, und Bertrand
steuerte das schwere Gefährt mit sicherer Hand zum Hotel, wo die Boys mit den
Koffern bereitstanden, um sie ebenfalls im Gepäckteil zu verstauen.
Hinter den dunklen Fenstern wurde Vernon Zeuge, wie Estrello und
Anja durch die hellerleuchtete Halle kamen, beide bestens gekleidet. Estrello
konnte es auch jetzt nicht unterlassen, weiter den großen Showman zu spielen.
Über den dunklen Anzug, den er trug, hatte er sieh den knöchellangen Umhang
geworfen. Den Zylinder trug er in der Htnd und grüßte theatralisch damit. Das
Hotelpersonal stand Spalier und klatschte Beifall.
Sic näherten sich dem Bus. Vernon wußte, daß er sich auf ein
schwieriges Unterfangen eingelassen hatte. Die Sache konnte schiefgehen, aber
sie konnte auch gelingen. Die Chancen standen fifty-fifty. Wichtig war, daß er
sich auf keine langen Verhandlungen einließ, daß er hart und konsequent
vorging.
Vernon versteckte sich in einer Nische neben dem Schrank. Ein
dunkelroter Vorhang verbarg ihn vor den Blicken der Eintretenden.
Die Tür schlug zu. Estrello knallte seinen Zylinder auf den Tisch
und nahm den Umhang von den Schultern.
»Das hätten wir hinter uns«, hörte Vernon die Stimme des Mannes,
den er auf den Tod haßte. »Weiter geht’s im Takt. Du kannst dich jetzt wieder
so benehmen, wie es
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