012 - Der mordende Schrumpfkopf
klaren zu
sein, daß er von einem stillen Augenpaar bei seiner Tätigkeit beobachtet wurde.
Der rote Stoff unter seinen Fingern gab plötzlich nach, als befände
sich an einer Stelle eine Kerbe, in die er hineingreifen konnte.
Im gleichen Augenblick geschah es!
Der Zwischenboden klappte zur Seite weg, und Larrys Blicke
erfaßten die ausgeblutete Gestalt! Das schreckverzerrte Gesicht der jungen
Juanita Bastro erinnerte an eine Totenmaske.
Larry Brent konnte seine Gedanken nicht mehr ordnen.
Der Schatten stand plötzlich hinter ihm und holte aus. Ein
gewaltiger Schlag traf den sich instinktiv zur Seite duckenden Agenten. Dumpf
klappte X-RAY-3 über der Leiche zusammen und rührte sich nicht mehr.
Die Stablampe entfiel seinen kraftlosen Fingern, und schwer schlug
der Deckel der Truhe zu und schloß ihn mit der Toten ein.
●
Der Mann hielt sich keine Sekunde länger als notwendig auf.
Ohne die Bustür hinter sich zuzuziehen, stürzte er hinaus ins
Freie, hinüber zu den hellerleuchteten Fenstern, wo sich wie ein Scherenschnitt
die stille Gestalt der schönen Anja abzeichnete. Estrellos Partnerin zuckte
nicht einmal zusammen, als der Mann durch die weit offenstehende Terrassentür
eilte.
»Rasch!« flüsterte er ihr zu. Es handelte sich um Paul Vernon. In
seinen Augen stand ein gehetzter Ausdruck. »Die Polizei muß gleich kommen. Ich
muß dich von hier wegholen. Wer waren die beiden Männer?«
Anja blickte auf, als würde sie aus tiefem Schlaf erwachen. »Ich
weiß es nicht. Sie wollten so viel von mir wissen.« Der Schleier vor ihren
Augen wurde klarer. »Aber wieso kommst du jetzt hierher, ich ... «
»Ich muß dich hier wegholen. Du befindest dich in Gefahr!«
»In Gefahr?« Ihre Stimme klang matt, als wäre alle Kraft aus ihrem
Körper gewichen.
»Du mußt hier weg. Ich kann es dir jetzt nicht erklären!« Vernon
packte sie an den Schultern, während seine Augen in ständiger Bewegung waren.
»Du meinst wegen dem Schrumpfkopf, nicht wahr? Du hast Estrellos
Schädel zu einem Schrumpfkopf gemacht!« Anja sagte es mit leiser, beinahe
gleichgültiger Stimme.
»Woher weißt du... «
Weiter kam er nicht. Sie unterbrach ihn. »Ich habe ihn gesehen. Er
war hier. Dort - am Fenster! Und die beiden Männer, die mich aushorchten, haben
ihn ebenfalls gesehen. Bertrand lebt nicht mehr.«
Sie sagte alles zusammenhanglos vor sich hin und ließ sich treiben
wie eine Feder im Wind.
Vernon preßte die Lippen zusammen. »Wieso Bertrand?«
»Vielleicht als Warnung oder als ein Signal. Das paßt zu ihm - zu
Estrello. Er will quälen. Er weiß, daß wir ihm nicht entkommen.«
»Niemand wird uns trennen, und niemand wird uns etwas antun, dafür
sorge ich!« Vernons Stimme klang fest. »Und nun beeil dich, ich habe schon viel
zuviel Zeit im Bus vergeudet, bis ich Gelegenheit hatte, die beiden außer
Gefecht zu setzen. Nur die Polizei könnte uns jetzt noch aufhalten und
unliebsame Fragen stellen. Aber dort, wo ich lebe, wird keine Polizei
hinkommen. Pack das Notwendigste zusammen, rasch!« Immer wieder warf er einen
Blick hinaus in die dunkle Nacht.
Die Lethargie wich von Anja. Sie schüttelte den Kopf. »Ich mache
dir einen anderen Vorschlag: wir warten die Ankunft der Polizei hier ab! Ich
habe nichts zu verbergen, Paul. Ich möchte mein künftiges Leben nicht auf
Furcht aufbauen müssen!«
»Ich habe Estrello umgebracht«, stieß er hervor. »Wir waren beide
damit einverstanden.«
»Es war deine Rache! Und es war auch die meine, richtig! Sie
werden nicht viel wegen Estrello fragen. Sie werden nur zu klären versuchen,
wie Bertrand zu Tode kam. Wenn ich dazu meine Aussage gemacht habe, werde ich
frei sein. Wir sollten ganz neu anfangen. Ich werde nach Paris fliegen. Mit
dir!«
»Das wird nicht einfach sein.«
»Laß mich nur machen!« Sie entwickelte plötzlich Initiative.
Versteck dich! Ich habe genügend Geld, und ich habe auch Beziehungen zu guten
Freunden. Ich garantiere dir: in vier Wochen sitzen wir in Paris, führen das
Leben eines Fürstenpaares und scheren uns um die Rache Estrellos kein bißchen.
Sein Schrumpfkopf mag hier irgendwo vermodern. In Paris sind wir sicher!«
●
Der Vorschlag gefiel ihm. Er hatte sich nach der Begegnung mit
Anja entschlossen, sein Urwalddasein bei den Jivaros aufzugeben. Der Weg wurde
ihm durch ihr Verhalten einfacher gemacht, als er geglaubt hatte. Sie mußten
einen Strich unter die Rechnung machen, ein neues Leben beginnen. Das war es,
was Anja wollte.
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