012 - Der Schatten des Vampirs
aus.
Niemand konnte wissen, dass Felipe unentwegt an die Worte der Bruja dachte. Gut, er hatte jedes Risiko auf sich genommen, um Concha noch einmal zu besitzen. Der Vampir in Brujas Hütte hatte das Unglück angekündigt, das nun über den drei Hauptdarstellern des Dramas hing. Felipe wusste, dass er in die dunkle Welt der Hexe eingedrungen war wie in einen Tunnel ohne Ausgang, aber er hatte wenigstens das Liebespaar mit hineingezogen.
Der älteste der Arbeiter, verrunzelt und weißhaarig, gab mit seinem abgemagerten Arm das Signal. Sofort war es klar, dass dieser Kampf mit maßloser Härte geführt werden würde. Jeder der beiden Gegner wusste, dass es kein Pardon gab. Am Ende stand keine großmütige Geste des Siegers, obwohl die Abmachung sie zum Einhalten des Reglements verpflichtete. Dennoch waren die Positionen unterschiedlich. Wenn Felipe hoffte, seinen Gegner zu töten und sich damit des Nebenbuhlers zu entledigen, so war für Santiago die Sache anders: er musste um jeden Preis siegen. Denn er fürchtete nichts mehr, als zu sterben und seine Geliebte dem Rivalen auszuliefern. Auch machte ihm der Gedanke zu schaffen, dass er ihn nicht töten durfte. Er musste ihn ja leben lassen, bis der Zauber von Concha genommen sein würde.
Felipe vertraute dem geheimnisvollen Wissen der Bruja. Er hatte erfahren – und das erfüllte ihn mit großer Befriedigung –, dass die Zaubermelodie ihm Concha weiterhin hörig machte. Vielleicht war es nur ein flüchtiges Glück, für Stunden und ohne Zukunft, aber schließlich hatten die paar Griffe auf der Gitarre die Geliebte zurückgebracht. Sie war in seine Arme gekommen, und zwar freiwillig.
Santiago dagegen, obwohl er seine Geliebte misstrauisch bewachte, war im richtigen Augenblick wie gelähmt gewesen und hatte nicht einmal reagiert, als sie ihn nachts verließ. Felipe glaubte fest daran, dass der Zauber weiterwirken werde, so wie er es sich wünschte. Über Santiago hingegen würde das Unglück hereinbrechen, hatte die Bruja geweissagt, und er solle das Werkzeug dafür sein. Das Duell erschien Felipe dafür die beste Gelegenheit – die Rechnung ging auf.
Die Gedankenfetzen in ihren Köpfen hielten die beiden Männer nicht ab, heftig zu kämpfen. Sie umkreisten einander, sprangen aufeinander los und versuchten, sich Stiche mit der
Machadila zu versetzen. Mit Peitschenhieben versuchten sie gegenseitig die Messer abzuwehren. Die Lederriemen klatschten auf die nackte Haut.
Beide waren von Staub und Schweiß bedeckt. Zwar war noch keiner verwundet, aber die Riemen der Peitschen hatten auf Gesichtern und Armen rote Spuren hinterlassen.
Die Seringueiros folgten mit leuchtenden Augen dem Duell. Die Frauen rauchten vor Aufregung eine Zigarette nach der anderen, und wenn sie ihre spitzen Schreie ausstießen, so wusste man nicht, ob vor Angst oder vor Lust.
Nur die „Mama“ bewahrte die Ruhe. Die robuste Frau wartete geduldig auf den Ausgang des Duells. Auch sie dachte, dass sich unsichtbare Kräfte einmischen würden, entweder durch Felipes Zaubereien oder durch das „Limpia“-Ritual. Ihrer Meinung nach waren beide Kämpfer verloren. Sie sah Conchas beide Liebhaber am Rande des Abgrunds balancieren, in den beide hinunterstürzen würden.
Felipe war schon längst aus der Reserve gelockt, denn Santiago war größer und schneller als er. Schon ein paar Mal hatte er die Beherrschung verloren und versucht, den Unterschied durch brutale Peitschenhiebe auszugleichen. Santiago hatte sich besser unter Kontrolle, obwohl auch er rasend vor Wut war. Er ließ Felipe um sich herumkreisen, wich dessen Hieben aus und schlug nur einmal zu, wenn es Felipe zehnmal tat. Dafür traf er besser.
Felipe, über dessen Gesicht bereits ein blutiger Striemen lief, kämpfte mit weit geöffneten Augen. Er riskierte den frontalen Angriff, weil er sich durch die Zauberkünste der Bruja unterstützt glaubte. Ungeachtet der Peitschenhiebe versuchte er, mit der
Machadila auf Santiago einzustechen. Er blieb stur bei dieser Taktik, schlug blind drauflos, erhielt selbst Peitschenhiebe – erreichte aber nur, dass sich seine Peitsche mit der Santiagos verfing.
Conchas Geliebter war für einen Moment aus der Fassung gebracht und konnte Felipes Stich nicht schnell genug parieren. Sein Hemd färbte sich rot, der Fleck wurde rasch größer.
Die Zuschauer schrieen auf. Unten in der Posada, noch immer vor der Madonna kniend, hörte Conchita diesen Schrei. Er tat ihr weh, obwohl sie gar nicht wusste, was er
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