012 - Der Schatten des Vampirs
nahm eine drohende Haltung ein. Besonders die Frauen waren außer sich. Sie forderten den Tod des Frevlers.
Concha bedeckte ihr Gesicht mit der Mantilla, und die „Mama“ drückte sie mütterlich an ihren dicken Busen. Sie flüsterte ihr tröstende Worte zu und warf Felipe, der immer noch im Staub lag, einen verächtlichen Blick zu.
Zum allgemeinen Erstaunen gab Santiago den Besiegten plötzlich frei. Er erhob sich und steckte die Machadila in den Gürtel.
Am meisten überrascht war Felipe. Er hatte eher geglaubt, durch seine unglaublichen Enthüllungen die Gnade verwirkt zu haben.
Der alte, weißhaarige Seringueiro, der den Kampf eröffnet hatte, rief: „Falsch, ganz falsch, Santiago! So einen darf man nicht laufen lassen!“
Er machte sich damit zum Sprecher aller anderen. Santiago sah ihn einen Augenblick an, dann sagte er ruhig: „Gehört mir sein Leben? Ja oder nein!“
Der Alte sah zu ihm auf.
„Niemand bestreitet deinen Sieg. Aber willst du gegen Hexen großmütig sein? Unsere Großväter haben sie noch verbrannt.
Felipe ist ein Vieh, ein bösartiges Ungeheuer. Bevor er uns noch alle ins Unglück bringt, töte ihn!“
„Ja, ja, bring ihn um!“ riefen ein paar Dutzend Stimmen, von denen die meisten weiblich waren.
Santiago stampfte ärgerlich mit dem Fuß auf.
„Ich habe geschworen, ihm sein Leben zu lassen, und ich halte diesen Schwur auch. Aber er soll mein Sklave sein. Ich werde schon dafür sorgen, dass er niemandem Schaden zufügt. Leben soll er, aber anstellen wird er nichts mehr. Dafür garantiere ich.“
Er lachte schallend.
„Mir könnt ihr schon vertrauen. Steh auf!“
Er gab Felipe einen Tritt in den Leib. Dieser erhob sich schwankend. Er ahnte das Schlimmste. Was konnte Santiago wohl im Schilde führen, um ihn brutal seine Überlegenheit spüren zu lassen? Mit welchen Mitteln würde er ihm das Leben zur Hölle machen, das er ihm geschenkt hatte?
Concha konnte sich nicht mehr zurückhalten. Sie warf sich Santiago leidenschaftlich an die Brust. Der Seringueiro drückte sie zärtlich an sich – und damit begannen Felipes Höllenqualen, die schlimmer waren als ein Todesurteil.
Bei der Umarmung spürte Concha plötzlich, dass Santiagos Hemd feucht war. Sie zog ihre Hand von seinem Rücken zurück und sah, dass sie blutig war.
„Du bist ja verwundet!“ schrie sie auf.
„Es ist nichts“, sagte Santiago, der seine Wunde schon vergessen hatte.
„Ich muss dich verbinden, komm schnell.“
„Später, jetzt muss ich erst noch mit diesem Schuft abrechnen.“
Aber Concha bestand darauf, dass er so nicht bleiben konnte. Sie sprach auf ihn ein, und die „Mama“ unterstützte sie.
Santiago rief in die Menge: „Ich bin gleich wieder da. Passt auf ihn auf!“
„Da kannst du beruhigt sein“, sagte ein bärenstarker Kerl und pflanzte sich neben Felipe auf. „Den behalten wir schon da. Beim ersten Schritt kriegt er es mit uns zu tun.“
„Mama“ und Concha nahmen Santiago in die Mitte und brachten ihn in die Posada.
Nun stand nur noch Felipe im Kreis, angeschlagen, mit roten Striemen auf der Haut, in trostlosem Zustand. Er blickte zu Boden, um die anderen nicht ansehen zu müssen.
Jeder verachtete ihn. Die Seringueiros drohten ihm mit ihren Messern. Sie ließen keinen Zweifel daran, dass sie bei der geringsten Fluchtbewegung zustechen würden. Es hatte keinen Sinn, irgendetwas zu riskieren. Er konnte sich ausrechnen, was passieren würde, wenn er ausbrach.
So blieb er ruhig stehen, ihrer Verachtung ausgeliefert und schutzlos gegen ihre Wut, aus der sie keinen Hehl machten. Böse Worte und Flüche waren für die Männer, die lieber Blut gesehen hätten, nur ein schwacher Ersatz. Die Mädchen konnten nur noch auf ihn spucken, denn er hatte die „Limpia“ gestört, ihr einziges Privileg mit Füßen getreten.
Der alte Graukopf musste ein paar Mal dazwischentreten, damit seine aufgebrachten Kameraden nicht doch ihre Messer benutzten, und sei es nur, um Felipe ein bisschen zu foltern. Wenn man schon Santiagos Entschluss hinnehmen musste, so wollte man doch wenigstens ein bisschen Blut fließen sehen.
Als Santiago zurückkam, trug er einen Verband, ein sauberes Hemd, führte sein Pferd am Zügel und trug ein Gewehr über der Schulter.
„Was hast du vor?“ fragte der Alte.
„Das geht nur mich etwas an“, antwortete ihm Santiago grob.
Er trat auf Felipe zu und fesselte dessen Handgelenke, was dieser sich ohne Gegenwehr gefallen ließ. Niemand hätte etwas dabei
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