012 - Der Schatten des Vampirs
gefunden, wenn er ihm auch noch die Knöchel zusammengebunden hätte, aber nichts dergleichen geschah.
Santiago tätschelte sein Pferd. Dann nahm er die Peitsche, die er immer in der Hand gehalten hatte, und hieb sie geschickt um Felipes Hals. Dieser wurde von dem Lederriemen fast erwürgt. Er röchelte, seine Augen traten aus den Höhlen, und die Adern an seinen Schläfen schwollen zum Bersten an.
Diese brutale Behandlung löste allgemeine Heiterkeit aus.
Aber Santiago kümmerte sich nicht mehr um die Zuschauer. Er trieb das Pferd an und führte sein Opfer am Peitschenriemen wie einen Hund an der Leine. Felipe musste jede seiner Bewegungen mitmachen, weil sich sonst die Schlinge zugezogen und ihn erdrosselt hätte.
Schon das Duell hatte ihn erschöpft. Er war in Schweiß und Blut gebadet, verdreckt und am Ende seiner Kräfte. Die Zuschauer stellten sich in einer Reihe rechts und links vom Weg auf. Als der Geschundene an ihnen vorbei taumelte, bekam er nur Hohn und Spott zu hören.
Jetzt konnte er nicht mehr antworten, selbst wenn er es gewollt hätte. Der Riemen um seinen Hals war so straff angezogen, dass er nicht einmal einen Seufzer von sich geben konnte. Santiago ritt in leichtem Trab, und Felipe musste rennen, um dem Pferd zur Seite zu bleiben, ohne dass es ihn mitschleifte.
Der Reiter, sein Pferd und der gefesselte Mann verschwanden im Urwald. Der Lärm der Zurückgebliebenen erreichte sie schon fast nicht mehr.
Ein paar ganz junge Seringueiros wollten zuerst mithalten und dem Pferd folgen, weil ja alle neugierig waren, was der Sieger mit seinem Sklaven wohl anstellen würde. Aber sie gaben bald auf. Der Dschungel verschluckte Santiago mit seinem Gefangenen.
Das Drama war für die Zuschauer beendet. Sie mussten wieder an ihre Arbeit.
Die Mädchen kehrten in die Posada zurück, wo die „Mama“ mit Concha zusammen saß. Und während die Seringueiros in der Pflanzung die Bäume zum Bluten brachten und das Latex ernteten, zog Santiago sein Opfer immer weiter in den Dschungel.
Felipe fiel es immer schwerer, Schritt zu halten. Santiago hielt die Peitsche angespannt, aber er achtete darauf, dass er ihn nicht erwürgte. Einmal ritt er langsamer, dann wieder schneller. Der Läufer musste sich seiner Willkür anpassen. Er keuchte schwer, die Kehle schmerzte ihm vom Druck des Riemens.
Felipe taumelte, fiel hin und wurde vom Riemen der Peitsche wieder hoch gezerrt. Der Schweiß rann ihm in Strömen über den Körper
Die gierigen Moskitos stürzten sich auf die beiden Männer und das Tier. Da Felipes Hände gefesselt waren, konnte er die Blutsauger nicht abwehren. Er wusste nicht, wie lange sie schon so durch den Urwald trabten, aber es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Er hatte mit seinem Leben abgeschlossen.
Als er die Bruja aufgesucht hatte, wusste er zwar, dass er seine Seele verkaufte, aber er hatte geglaubt, dass sich der Einsatz lohnen würde. Er hatte Concha für eine Stunde der Lust zurückgewonnen, doch jetzt war alles verloren. Nur seine Rache war ihm geblieben.
Denn der letzte Akt des Abenteuers musste ja noch gespielt werden: Santiagos Untergang. Er musste kommen, denn der Schatten des Vampirs stand auch über seinem Leben, wenn auch Felipe der Zusammenhang bis zur Stunde noch nicht klar war.
Santiago hielt das Pferd an. Er sprang ab und ließ den Zügel los. Halb erstickt hing Felipe am Peitschenriemen, röchelnd und stöhnend.
Sie waren angekommen.
Santiago lockerte den Griff und sein Opfer fiel zu Boden. Die feuchte, sumpfige Erde kühlte Felipes geschundenen Körper. Ein Fluss schien in der Nähe zu sein.
Santiago löste die Schlinge vom Hals seines Gefangenen und ging weg. Er war überzeugt, dass Felipe zu schwach war, um zu fliehen. Dieser bleib auch eine ganze Weile liegen, denn seine Kräfte reichten nicht einmal aus, um aufzustehen. Sein Schädel brummte. Die Hitze lastete schwer auf ihm. Vor seinen Augen tanzten bunte Flecken, denn die Sonne brannte auf den Dschungel herab und brachte ihn zum Kochen wie einen Dampfkessel.
Die großen Mücken griffen wieder an. Er konnte sich nicht wehren und musste es zulassen, dass sie ihre Rüssel in sein Fleisch senkten und sein Blut saugten. Er wollte sterben, so groß waren seine Schmerzen. Nun hatte er alle Hoffnung aufgegeben. Es war ja ein Bestandteil seines Paktes mit den schwarzen Mächten gewesen, dass auch er Unglück auf sich nehmen musste. Wer sich mit dem Bösen einließ, musste in der Hölle landen.
Plötzlich war die Melodie wieder
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