012 - Der Schatten des Vampirs
da. Er wollte sie verscheuchen, aber sie kehrte immer wieder, sie tönte und brauste in seinem Kopf und vermischte sich mit seinem Herzschlag, mit dem Puls seines Blutes. Er wusste, dass er sie immer hören musste, unablässig, bis in alle Ewigkeit.
So in sich versunken, hatte er seiner Umgebung kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Er hatte nicht gesehen, was sein Rivale vorbereitet hatte. Santiago war nicht weit gegangen und machte sich am Flussufer zu schaffen.
Felipe versuchte sich langsam zu erheben, indem er sich auf seine Unterarme stützte, die jedoch noch gefesselt waren und immer wieder nachgaben.
Sein suchender Blick fand Santiago, der einen großen Stein in der Hand hielt und damit einen dicken Pfahl in das weiche Flussbett schlug. Dazu musste er selbst ins Wasser steigen. Bis an die Oberschenkel stand er im Fluss und beobachtete fast ängstlich das Wasser. Über ihm hing in Reichweite sein Gewehr an einem Ast, der über das Ufer ragte. Er arbeitete rasch, wie unter Zeitdruck.
Felipe fragte sich, warum Santiago dort wohl so fieberhaft arbeitete. Er ahnte schon, dass es wahrscheinlich mit seiner Hinrichtung zusammenhing. Aber da er keinen vernünftigen Gedanken fassen konnte, fiel ihm keine logische Begründung für diesen Pfahl im Wasser ein. Und wovor Santiago Angst haben könnte, wollte ihm auch nicht einleuchten.
Santiago prüfte, ob der Pfahl so fest stand, dass man ihn nicht herausreißen konnte. Dann stieg er erleichtert wieder an Land.
Felipes Versuche sich aufzurichten, scheiterten noch immer. Ein Verdacht, der ihm dämmerte, schwächte ihn eher noch mehr. Er wimmerte: „Nein, Santiago, das nicht, nein, sei großmütig!“
Ohne Hast, aber auch ohne Zögern, wie ein Mann, der eine wichtige Aufgabe erfüllen muss, nahm Santiago seinen Feind fest am Kragen und zwang ihn, aufzustehen. Er schien nicht gerade guter Laune zu sein. Er hatte auch allen Grund dazu, denn die Wunde auf seinem Rücken war unter dem Verband neu aufgebrochen. Die Blutflecken auf dem Hemd zogen die Carapanas an, was seinen Unmut noch erhöhte.
Brutal zerrte er sein Opfer zum Fluss hinüber, zum Pfahl im Wasser. Felipe versuchte seine Fesseln zu lockern, aber es war aussichtslos. Er hatte ja kaum noch Kraft, um sich auf den Beinen zu halten. Santiago fasste ihn hart an und zwang ihn, ins Wasser zu steigen, auch als er sich dagegen sträubte und laut aufheulte.
Er stieß ihn vorwärts und hörte nicht auf das Flehen des Unglücklichen, der immer wieder stöhnte: „Das nicht, Santiago, das nicht!“
Als Felipe mit dem Rücken am Pfahl stand, zog Santiago eine Schnur aus der Tasche und band Felipes Beine unter Wasser bis zu den Schenkeln fest an. Er arbeitete hastig, als habe er Angst, länger im Wasser zu bleiben.
Felipe, bewegungsunfähig, schluchzte besinnungslos vor sich hin und wiederholte: „Das nicht, Santiago, das nicht. Töte mich oder behalte mich als deinen Sklaven. Ich werde dir dienen, du kannst mich behandeln wie deinen Hund, aber das nicht, tu das nicht!“
Je länger Santiago ihn jammern hörte, umso genauer erkannte er den Rhythmus. Felipe schien seine Worte wie ein Gedicht aufzusagen, dessen Rhythmus Santiago tief erschreckte.
Das Lied, das verdammte Lied, das ihn in jener furchtbaren Nacht im Traum verfolgt hatte, als Concha mit Felipe gegangen war, als sie ihn mit seinem Feind betrogen hatte!
Er knirschte mit den Zähnen. „Der verdammte Zauber geht von vorn los. Also ist das, was ich hier mache, das einzig Richtige. Soll er leben und soll er leiden!“
Santiago fand dies eine gerechte Strafe für die Untat. Er zündete sich eine Zigarette an. um sich zu beruhigen, lehnte sich an den Baum, der sein Gewehr trug, und schaute auf sein Pferd, das friedlich in der Nähe graste und manchmal mit dem Schwanz wedelte, um die Moskitos zu vertreiben.
Vor ihm im Wasser, gefesselt, stöhnte Felipe unablässig:
„Das nicht. Santiago, das nicht!“
Er war sich bestimmt nicht bewusst, dass er den Teufelsrhythmus wiederholte. Aber dieser Rhythmus war ihm eingeprägt, genauso wie Concha und Santiago.
Der Mann unter dem Baum rauchte stumm. Er wartete.
Ein Schrei des Gefesselten schreckte ihn auf, und seine Augen begannen zu glitzern.
Doch als er genauer blickte, runzelte er die Stirn. Er erkannte einen länglichen, graugrünen Körper, der an der Wasseroberfläche zu sehen war.
Ein Kaiman, eine vier Meter lange Panzerechse!
Damit hatte er gerechnet. Deshalb hatte er seinen geladenen Karabiner in Reichweite neben
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