012 - Die Sekte des Lichts
den Chip herum schwebten etwa hundert schwammige Flecken in dem Plasma. Nicht annähernd so groß wie Kirschkerne. Sie ähnelten winzigen Schimmelpilzfetzen, und ein Laie hätte sie vermutlich gar nicht beachtet. Doch die Flecken waren das Ergebnis von elf Monaten harter Arbeit. Vittoris saß andächtig vor ihnen und betrachtete sein Werk. »Hallo, ihr Eiligen Drei Könige, wachst ihr auch fleißig?« Es war schwer gewesen, aus dem alten Knochenmaterial Zellen mit intakten Zellkernen zu gewinnen. Und dann noch mal aus diesen Zellen diejenigen aufzuspüren, deren DNS- Material unbeschädigt war. In Phase drei musste dann das Erbgut der Zellen differenziert werden. Der Kardinal wollte ja keine Drillinge, sondern drei verschiedene Individuen. Dass Vittoris und die Dominikaner DNS-Material von vier unterschiedlichen Menschen gefunden, hatten machte die Sache noch komplizierter.
Vittoris hatte dem frommen Kardinal selbstverständlich nichts davon verraten, dass nicht drei, sondern mindestens vier Könige oder was auch immer fast neunhundert Jahre im Dom geruht hatten. Auch die jungen Patres hatte er zum Stillschweigen verpflichtet. Vier Monate hatten sie gebraucht, um dreihundertfünfzehn Zellen mit vollständigem Erbgut zu finden. Hundertfünf von jedem König, oder was auch immer der Tote einst gewesen sein mochte.
Die weiblichen Eizellen hatte Kardinal Joosev in Ostafrika besorgt. Vittoris bestand darauf. Er vertrat eine umstrittene Theorie, nach der die Gene ostafrikanischer Frauen zu den vitalsten der Welt gehörten.
Jedenfalls hatte der Kardinal seine Beziehungen zum Chefarzt einer katholischen Geburtshilfeklinik in Uganda spielen lassen. Ein halbes Jahr hatte es gedauert, dann waren die Eizellen in Nährplasma gebettet in Bad Godesberg eingetroffen. Dreihundert Stück.
Die nächsten Schritte waren reine Routine: die DNS - den Erbcode - aus den Eizellen entfernen, die Knochenzellen im Molekülsynthesizer aktivieren und optimieren, ihre DNS in die Eizellen einsetzen und so weiter. Nun schwammen sie, eingebettet in einer synthetisch aufgebauten Schleimhauthülle, im Nährplasma. Vittoris hatte ein Verfahren entwickelt, das es ihm erlaubte, die mit der DNS der Knochenzellen infiltrierten Eizellen ein paar Wochen lang in Nährplasma »anzubrüten«, bevor er sie in den Uterus lebender Frauen verpflanzte. So konnte er sie beobachten, konnte den Teilungsprozess kontrollieren und würde in der Lage sein, nur die kräftigsten Zellen für die Schwangerschaften auszuwählen. Damit konnte er die unvermeidliche Fehlerquote auf unter fünfzig Prozent drücken.
Vittoris Augen wurden schmal. Hinter seiner Stirn arbeitete es. Es gab ein Problem, über das er noch nie mit dem Kardinal gesprochen hatte. Ein Problem, das immer näher rückte: Wenn die Fehlerquote unter fünfzig Prozent lag, lag sie dennoch weit über null. Es mussten also mehr als nur drei der Eizellen in menschliche Uteri eingepflanzt werden. Denn fast die Hälfte würde unweigerlich absterben. Er musste also mindestens sechs Frauen finden, die für eine Schwangerschaft bereit waren. Und da er für seine persönlichen Interessen ebenfalls drei Embryonen brauchte, mussten mindestens zwölf Frauen engagiert werden.
Er würde sich ein paar plausible Argumente einfallen lassen müssen, um dem Kardinal die Zahl zu verkaufen - zwölf Frauen. Josef in seiner Naivität glaubte, es wäre mit dreien getan.
Vittoris stand auf und schritt durch den Raum zum Mitteltisch. Er setzte sich vor den Monitor des Qu-Computers. Seine Finger flogen über die Tastatur. Er rief die Kontrollprogramme des Nährplasmas auf und stellte die Verbindung zu dem Chip in der Flüssigkeit her.
Seine Augen huschten über die Tabellen. Kaliumchlorid, Natriomchlorid, Calziumchlorid, Eiweißkonzentration, Spurenelemente, Hormone, Enzyme, Hämoglobin, Sauerstoff, osmotischer Druck, Temperatur - alle Werte im Normbereich. Auch der Biochip sandte seine elektrischen Impulse korrekt aus. Impulse von exakt berechneter Spannung und Frequenz. Sie veranlassten die Zellmembranen, sich zu öffnen und die Mineralien und Eiweiße aufzunehmen, die sie brauchten, um sich teilen und vermehren zu können.
Zufrieden machte Vittoris seinen obligatorischen Protokolleintrag. Danach stand er auf, verließ den Raum und löschte das Licht. Statt hinauf in sein Apartment, stieg er hinunter ins Souterrain.
Er öffnete eine Metalltür und betrat eine UV-Schleuse. Das flimmernde Blaulicht eliminierte eine große Zahl
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