012 - Die weiße Wölfin
lange dauern, bis meine Flucht entdeckt werden würde. Ich rannte quer durch den Garten. Chapman hatte ich auf dem linken Arm, die Rechte umklammerte Cohens Pistole. Niemand verfolgte mich. Es war nun völlig dunkel, aber der Mond stand hoch am Himmel. Am Zaun blieb ich keuchend stehen und drehte mich um. Noch war alles ruhig. Ich setzte Chapman ab, der leicht zwischen den Gitterstäben hindurchkriechen konnte. Dann schwang ich mich hoch und ließ mich auf der anderen Seite fallen.
Ich war auf einem schmalen Weg gelandet, der zwischen Gärten zum Golfplatz hinführte. Geduckt rannte ich weiter. Chapman hatte ich wieder auf den Arm genommen. Fieberhaft überlegte ich mir, wohin ich flüchten sollte. Das beste war wohl, wenn ich mich in einem kleinen Hotel versteckte.
Ich erreichte den Golfplatz und blieb wieder stehen. Rechts lag die Church Road. Es hatte keinen Sinn, mich auf dem Golfplatz zu verstecken. Es war sicher, daß die Polizei Suchhunde einsetzen würde. Chapman war an sich ein Hindernis für mich, aber ich mußte ihn mitnehmen. Ich drückte mich an einen Baum, als ein Auto mit abgeblendeten Scheinwerfern auf mich zukam.
»Kennst du dich in dieser Gegend aus?« fragte ich Don.
»Ja, ein wenig. Ich habe hier ab und zu Golf gespielt. Der River Brent durchzieht den Platz. Wenn du nach links gehst und den Fluß überquerst, kommst du zu einer Hauptstraße, der Greenford Road.«
Ich wandte mich nach links. Nach vielleicht zweihundert Schritten erblickte ich den Fluß. Eine schmale Brücke führte hinüber. Wieder kam uns ein Auto entgegen, und ich versteckte mich hinter einem Haselnußstrauch. Als das Auto vorbeigefahren war, sprang ich auf und rannte über die Brücke. Der River Brent war ein kümmerliches Bächlein, das träge gurgelnd dahinfloß.
»Hast du eine Ahnung, ob es da irgendwo Boote gibt?«
»Ja«, sagte Don. »Vor dem Klubhaus, geradeaus.«
Ich folgte seinen Anweisungen und lief den schmalen Weg entlang. Das hellerleuchtete Klubhaus tauchte auf. Es war ein bungalowähnlicher, langgestreckter Bau, vor dem einige Autos parkten. Ich schlich vorsichtig näher heran. Eben stiegen einige Leute in einen Wagen. Ich hörte Gelächter, dann das Zuschlagen der Wagentüren. Ein Jaguar fuhr an, und Scheinwerfer flammten auf. Mit einem Sprung suchte ich hinter einem Baum Deckung.
»Wo sind die Boote?«
»Unterhalb des Klubhauses.«
Ich überquerte den Parkplatz, erreichte den Fluß und ging den schmalen Weg entlang, der parallel zum Fluß verlief. Kein Mensch war zu sehen. Nach fünfzig Schritten erblickte ich die Boote. Ein einfacher Holzsteg führte einige Meter in den Fluß hinein. Das Bootshaus war klein und dunkel. Ich blieb stehen und lauschte, ehe ich zögernd weiterging. Die Bretter knarrten unter meinen Schritten. Wieder blieb ich stehen. Ein leichter Wind war aufgekommen, der seltsame Geräusche erzeugte. Am Bootssteg waren einige einfache Ruderboote festgebunden. Ein letztes Mal blickte ich mich um, dann kletterte ich eine einfache Holzleiter hinunter und sprang in eines der Boote. Das Plätschern des Wassers verschluckte alle anderen Geräusche. Ich setzte mich und griff nach den Rudern. Durch das Mondlicht war es fast taghell, was mir nicht besonders gefiel. Chapman setzte sich auf mein rechtes Knie und krallte sich an der Hose fest. Ich machte das Boot los. Es wurde von der Strömung des Flusses getrieben und drehte sich einmal im Kreis. Ich korrigierte den Kurs und steuerte auf die Mitte des Flusses zu.
Dieser wand sich in sanften Windungen durch den Golfplatz. Nach einigen Minuten kamen wir an einem Vergnügungspark vorbei. Ich steuerte auf das linke Ufer zu. Gelächter und Schreie hallten über den Fluß. Ich ruderte rascher. Das Boot schoß über die schwarze Fläche des Flusses. Dann sah ich die Brücke auftauchen. Ich ruderte noch rascher. Schweiß perlte auf meiner Stirn. Nach der Brücke tauchte rechts das hellerleuchtete County Mental Hospital auf. Der Fluß wurde etwas breiter. Ich sah am Ufer Spaziergänger, die mir aber keine Beachtung schenkten. Bei der Green Lane, kurz vor dem riesigen Osterley Park, mündete der Fluß in den breiten Grand Union Canal.
Bis jetzt war meine Flucht gut verlaufen, aber ich hatte Angst, daß die Polizei bereits meine Spur aufgenommen hatte, und wenn man entdeckte, daß ich mit einem Boot geflohen war, konnte ich mir ausrechnen, daß einige Streifenwagen den Kanal absuchen würden. Ich mußte also bald an Land. Aber es war nicht so einfach, das
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