0124 - Die Mörder-Blumen
Blumen auch leben können? Es sind Geschöpfe, die atmen, die sich untereinander verständigen.« Er sprach zischend und flüsternd. Irgendwie übte seine Stimme einen besonderen Reiz auf Jessica aus. Sie hatte ihn längst unterbrechen wollen, es aber nicht fertiggebracht.
Dieser Gabriel Grillo war zwar abstoßend, doch auf eine gewisse Weise faszinierte er sie.
Oder war es seine Stimme?
Sie wußte es nicht. Sie wußte nur, daß sie anders reagierte als bei ihrem Eintritt. Etwas hatte sie gefangengenommen und beeinflußt.
War es der seltsame Duft, der in diesem Raum allgegenwärtig war?
Möglich, es sollte ja Menschen geben, die von Düften oder Gerüchen berauscht wurden. Bisher hatte Jessica Parker diese Erfahrung noch nicht gemacht, auch bei Blumengeschäften nicht, und sie kaufte oft Blumen. Aber hier war alles anders.
»Sie möchten also einen Strauß haben?« fragte Grillo. »Und wieviel gedenken Sie anzulegen?«
»Drei Pfund.«
»Oh.« Grillo riß die Augen auf. Jessica sah, daß er völlig glanzlose Pupillen hatte. Er schaute sich um. »Nein, meine Liebe, die Blumen hier werde ich Ihnen nicht verkaufen. Sie bekommen andere. Besondere Blumen.«
»Andere?«
»Ja, wenn Sie sich einige Minuten gedulden würden, ich bin gleich zurück…«
»Aber ich…« Jessica wollte etwas einwenden, doch sie konnte es auf einmal nicht.
»Ja?« fragte Grillo. Er hatte schon seinen rechten Fuß auf die erste Stufe gesetzt.
Jessica lächelte. »Es ist gut, suchen Sie die Blumen aus.«
»Danke. Sie werden überrascht sein. Sogar sehr überrascht, meine Liebe.« Er nickte und verschwand nach oben.
Jessica wartete, bis er nicht mehr zu sehen war. Plötzlich merkte sie, daß sie schwitzte. Sie wischte sich über die Stirn. Als sie die Hand zurückzog, sah sie, daß sie feucht glänzte.
Was war das nur? Dieser Blumenladen, in dem kaum eine Lampe brannte und dessen Innern im Dämmerlicht lag, übte eine seltsame Faszination auf sie aus.
Noch war es nicht zu spät. Noch konnte sie verschwinden. Ja, geh raus, sagte eine innere Stimme. Dieser Kerl ist nicht geheuer.
Jessica nickte. Sie wollte ihre Schritte in Richtung Ausgang lenken, doch wie unter einem Zwang ging sie nach links, wo sich das Schaufenster befand.
Dort blieb sie für einen Moment stehen.
Ihren Wagen konnte sie kaum sehen, da die Scheibe aus ziemlich undurchsichtigen Glas bestand. Von oben nach unten liefen lange Wasserstreifen. Eingetrocknete Salze und Kristalle, die das an der Scheibe herunterlaufende kühlende Wasser hinterlassen hatte.
Die Schritte des Blumenhändlers waren verstummt. Eine seltsame Ruhe breitete sich aus, hinzu kam das Dämmerlicht, dann der Duft, eine Atmosphäre, die Jessica überhaupt nicht behagte. Sie bekam plötzlich Atembeschwerden.
Das Girl trat wieder zurück. Mit dem Schuh stieß sie gegen einen auf dem Boden stehenden Plastikeimer, wobei das Wasser überschwappte. Es hinterließ auf den Fliesen eine dunkle Lache.
Beim Umdrehen hatte Jessica noch etwas anderes bemerkt.
Eine Tür.
Sie befand sich neben der halbrunden schmalen Verkaufstheke und führte wohl in den Lagerraum des Blumenhändlers. Normalerweise hätte das Girl die Tür übersehen, so etwas interessierte sie nicht, aber in diesem Fall übte dieser Durchgang eine nahezu magische Anziehungskraft auf sie aus.
Jessica ging näher.
Abrupt blieb sie stehen.
Sie hatte Stimmen gehört.
Raunende, flüsternde und lockende Stimmen, die urplötzlich da waren, und sie ansprachen.
»Komm zu uns! Du bist schön. Du bist wie eine Blume«, wisperte es. »Wir brauchen dich – Jessica…«
Der Name! Himmel, wieso kannten diese Stimmen ihren Namen?
Klar, sie hatte ihn dem Blumenhändler gesagt, aber es war doch kein anderer im Raum gewesen.
Woher kannte man dann ihren Namen? Und wer rief sie da?
Jessica zitterte plötzlich. Unbehagen und ein Gefühl der Angst breitete sich in ihrem Innern aus. Nervös huschte ihre Zunge über die spröden Lippen.
Der nächste Schritt.
Jetzt stand sie nur noch wenige Yards vor der Hintertür.
Und wieder vernahm sie die Stimmen.
»Jessica! Jessica, komm zu uns!«
Da wurde ihr klar, wo die Stimmen aufklangen. Hinter der geheimnisvollen Tür. Ja, ganz deutlich hatte sie es vernommen.
Jessica Parker warf einen Blick hoch zur Wendeltreppe. Von Gabriel Grillo war noch immer nichts zu sehen. Sie hörte ihn auch nicht. Wahrscheinlich werkelte er in irgendeinem Raum herum und suchte den Blumenstrauß zusammen. Für diesen Preis bekam sie
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