0125 - Der Leichenbrunnen
mich ein. »Sagt Ihnen der Name etwas, Miß Bendix?«
»Nein.«
»Auch dieser Brunnen nicht?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Haben Sie je in Ihrem Leben Ahnenforschung betrieben?«
»Auch nicht. Ich sah keinen Grund. Ich lebe völlig normal und arbeite als Sekretärin in einem Reisebüro. Ich bin nicht verheiratet, habe einige Freunde, eine kleine Wohnung und jetzt dies.«
Sie hob die Schultern. »Ich verstehe es nicht.«
Ich auch nicht, wenn ich ehrlich war. Aber wir mußten uns mit diesen Tatsachen abfinden.
Cora drückte die Zigarette aus und sagte: »Trotz dieser Schrecken möchte ich dorthin, wo alles passiert ist. Können Sie das verstehen?«
»Natürlich«, erwiderte der Psychologe.
»Und ich bin froh, daß Sie so denken«, lächelte ich. »Sonst hätte ich Ihnen den Vorschlag gemacht. Wissen Sie vielleicht, wo es sein könnte?«
»Nein.«
»Das werden wir herausfinden, keine Bange.«
»Ich will endlich diese Träume loswerden.« Cora strich über ihre Stirn. »Sie glauben gar nicht, wie schlimm so etwas sein kann.«
»Ich verstehe Sie.«
»Wann soll ich denn fahren?« wollte sie von uns wissen.
Dr. Stradford hob die Schultern. »Das liegt in Ihrem Ermessen, Miß Bendix.«
»Moment!« Ich hob die Hand. »Ich möchte etwas richtigstellen. Miß Bendix fährt nicht allein. Ich werde sie begleiten. Oder haben Sie etwas dagegen?«
»Wie sollte ich, Mr. Sinclair! Ich bin froh, daß ich nicht allein fahren muß. Ich habe nämlich Angst. Nicht nur vor der Vergangenheit, sondern aueh vor der Zukunft…«
***
Lionel Finch wußte nicht, wie er reagieren sollte. Das Skelett stand noch immer dort und schaute ihn an. Unter der Kapuze schimmerte der Schädel.
Der junge Anwalt tastete nach seiner Waffe. Die Hand ließ er auf dem Pistolengriff liegen. Wenn das Skelett über die Straße kam, würde er schießen.
Doch der Knochenmann dachte gar nicht daran. Er überlegte es sich anders, machte auf der Stelle kehrt und verschwand im dichten Unterholz.
Zwei, drei Sekunden blieb Lionel stehen. Dann packte ihn eine Wahnsinnsidee, die er auch sofort in die Tat umsetzte. Er nahm die Verfolgung des Knöchernen auf. Hastig überquerte er die Fahrbahn, sprang über den Graben und warf sich in das Unterholz hinein.
Zwischen abgestorbenen Ästen und hohen Farnkräutern bahnte er sich seinen Weg. Dabei ließ er das Skelett nie aus den Augen, und er hatte auch das Gefühl, daß der Knochenmann es gar nicht wollte. Lionel sollte ihm folgen.
Zum Glück fand der Anwalt einen schmalen Pfad, über den er wesentlich schneller vorankam als bei einem Querfeldeinlauf.
Er beeilte sich sehr, versuchte sogar, dem Knochenkerl den Weg abzuschneiden, doch das gelang nicht, weil das Skelett immer wieder die Richtung wechselte.
Schließlich lichtete sich der Wald, und Lionel Finch erreichte einen freien Platz.
Keine Lichtung, denn hinter dem Platz standen die Überreste eines alten Hauses.
Und davor befand sich ein Brunnen!
Abrupt blieb der Anwalt stehen. Ein alter Brunnen fast im Wald?
Das hatte er noch nie gesehen, und es kam ihm auch äußerst merkwürdig vor. Zudem war das Skelett verschwunden.
Lionel Finch ging ein paar zögernde Schritte vor. Dabei schaute er sich um, und er hatte auch seine Pistole gezogen. Lionel wunderte sich, wie ruhig er war, obwohl dieser geheimnisvolle Brunnen eine beinahe magische Anziehungskraft auf ihn ausübte.
Magisch!
Ja, das war das richtige Wort.
Irgendwie hatte alles in der letzten Zeit mit Magie zu tun. Dann fing bei seinen Träumen an, ging weiter über die Stimmen, bis hin zum Auftauchen der Skelette.
Doch das zweite war verschwunden.
Wohin?
So sehr Lionel sich auch umschaute, er entdeckte den Knöchernen nicht. Er sah nur den Brunnen.
Und der wiederum faszinierte ihn.
Er schien uralt zu sein, doch die Steine hatten die rauhen Zeiten überdauert, jedenfalls zeigten sie kaum Anzeichen von starker Verwitterung.
An den Seiten des Brunnens wuchsen zwei hölzerne, graubraune Balken in die Höhe, die an der Spitze von einem Querbalken gehalten wurden. An dem Querbalken hing ein altes Rad, über das ein Seil lief und in der Tiefe des Brunnens verschwand.
Es war seltsam still. Irgend etwas Geheimnisvolles strömte der Brunnen aus, und dem einsamen Mann rieselte eine Gänsehaut über den Rücken.
Wo steckte das Skelett?
Vielleicht hatte es sich im Brunnen versteckt. Diese Möglichkeit sah Lionel Finch als die Wahrscheinlichste an.
Und er wollte nachsehen.
Die letzten Yards überwand
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