0128 - Der Seelenwald
Ihr Körper schleifte scharrend über den dreckigen Boden.
Sie lebte, atmete, das allein war mir wichtig. Kratzer und Schürfwunden konnte man versorgen, und irgendwann vergaß man sie.
Ebenso einen brummenden Schädel.
Ich starrte in die Dunkelheit.
Nichts rührte sich da oben.
Eine vertrackte Situation.
Ich merkte, wie die Kälte in mich kroch. Zuerst in den Füßen.
Dann höher. In meiner Brust. Meine Zähne knirschten aufeinander.
Der Anzug klebte kalt auf meiner Haut.
In diesen Sekunden und Minuten wünschte ich mir Suko herbei, meinen chinesischen Freund und Kampfgefährten. Oder Bill Conolly. Früher, als er noch nicht mit Sheila verheiratet gewesen war, da hatten wir manche heiße Sache gemeinsam überstanden…
Aber dieses Mal war ich allein. Ganz allein.
Ich mußte sehen, wie ich zurechtkam. Und dabei wußte ich noch nicht einmal, wie lange ich die bleierne Erschöpfung in mir noch bekämpfen konnte.
Ich durfte nicht schlappmachen!
Dort oben saßen mindestens noch drei Gegner. Zu viele für mich.
Und Rückzug war momentan so gut wie unmöglich.
Ich zählte die Sekunden. Jeden Augenblick rechnete ich mit einem Angriff.
Und er kam!
»Du kannst uns nicht alle gleichzeitig erledigen, Sinclair!« schrie einer.
Unwillkürlich zuckte ich zusammen. In fliegender Hast schob ich ein neues Magazin in die Beretta. Das metallene Knacken war überlaut zu hören. Wieder wechselte ich die Stellung.
Dann sah ich die Schatten.
Aber im selben Sekundenbruchteil geriet das Geschehen vollkommen aus den Fugen…
Draußen jaulten Sirenen. Autos stoppten mit quietschenden Reifen. Türen wurden geöffnet und zugeschlagen. Harte Befehle gebrüllt.
Das waren die Kollegen vom Yard!
»Sinclair!« brüllte jemand. »Sinclair, wo stecken Sie?«
Ein unmenschlicher Fluch wurde über mir laut.
Ich riß meinen Schädel hoch.
Das war genau der Augenblick, in dem Asmodina auftauchte!
Die Tochter des Teufels griff höchstpersönlich ein!
***
Das Grauen saß ihm im Nacken!
Peter McCrady hetzte durch den Seelenwald. Wieviel Zeit seit dem Moment vergangen war, da Jane Collins von den unheimlichen Klauenhänden zu Boden gerissen worden war, das wußte er nicht. Er war gelaufen. Unermüdlich. Wie ein Uhrwerk.
Und die Hände hatten ihn nicht aufgehalten.
Erklären konnte er sich das beim besten Willen nicht.
Das heißt: doch. Der Wald mochte die finsteren Ausstrahlungen des Dämons Zuurrd in seinem Schädel registrieren und ihn deshalb für einen Verbündeten halten.
Als Wirtskörper des Dämons war er lediglich Handlanger. Und als solcher war es ihm verboten, den Wald zu betreten. Nur die von Asmodina bestimmten Priester durften das.
Weshalb also ließ ihn der Wald unbehelligt?
McCrady rannte wie von Sinnen. Seine Füße brannten. Von Zeit zu Zeit hörte er hinter sich ein trockenes Brechen und Bersten. Er wurde verfolgt. Von wem?
Von den ehemaligen Gefährten aus dem Dorf? Von den bizarren und unheimlichen Wesenheiten, die im Seelenwald lebten?
Er sah alles wie durch dichte Schleier. In seinem Schädel wühlte der Schmerz, Zuurrd, der Dämon, versuchte, sich an die Oberfläche seines Ichs emporzukämpfen und die Herrschaft über den Körper wieder zu übernehmen.
Du kannst mich nicht ewig in Schach halten, Elender! geiferte die Wesenheit, als sie diese Gedanken wahrnahm.
Stoßweise kam McCradys Atem.
Er lief langsamer. Seine Hände fuhren an die Schläfen. Nein! dachte er verzweifelt. Nicht jetzt. Nicht ausgerechnet jetzt!
Taumelnd und blindlings rannte er jetzt.
Immer wieder stieß er gegen Baumstämme. Den Schmerz fühlte er nicht. Seine Hände bluteten. Wenn er hinfiel, rappelte er sich wieder hoch und rannte weiter.
Jähe, aberwitzige Angst rumorte in seinen Eingeweiden. Noch war er ein Mensch… Ein Wesen mit menschlichen Gefühlen, verbesserte er sich gleich darauf.
Aber wenn Zuurrd siegte, war das vorbei. Dann würde er zurückkehren. Und er wußte, was die Alten mit Verrätern anstellten.
Plötzlich fiel ihm das Denken wieder leichter. Mit ausgestreckten Händen lief er weiter.
Dann hörte er das Kichern. In den Bäumen ringsum entstanden verzerrte Horror-Fratzen. Wüste Gesichter, die sich zu den unmöglichsten Grimassen verzogen. Riesige Mäuler klafften auf, sonderten gelblichen Schleim ab und lachten und kreischten.
Er blieb nicht stehen.
Das Gelächter gellte jetzt von überall her. Aber es hielt ihn nicht auf. Niemand griff nach ihm. Niemand versuchte, ihn zu halten.
Weiter!
McCrady
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