0128 - Die Hexe aus dem Fluß
Offenbar hatte man die Ankunft des Wagens beobachtet, der von der durchgehenden Hauptstraße abgebogen war und jetzt mit grell strahlenden Halogenlampen vor dem Tor stand, denn eine Stimme quäkte ziemlich lautstark aus dem Gerät und erkundigte sich nach woher und wohin.
Zamorra wollte gerade seine Antwort aus dem Wagen rufen, als Nicole ihm die Hand auf den Arm legte und den Kopf schüttelte. Klickend rastete der Gurt aus. Nicole öffnete den Wagenschlag und ging zu der Sprechanlage hinüber.
»Duval«, sagte sie. »Wir sind von Miß April Hedgeson eingeladen worden«
»Sie können passieren«, kam die Antwort.
Die hübsche Sekretärin stieg wieder ein, und ihr Chef gab Gas, weil sich in diesem Moment das breite Stahlgittertör öffnete, das bis dahin die Weiterfahrt versperrt hatte.
Hinter ihnen rollte ein weiterer Wagen heran. Im Rückspiegel erkannte Zamorra einen Fiat-Kombi älterer Bauart, der einfach, ohne anzuhalten, mit durch das Tor rauschte.
»Der hat wohl einen Freifahrtschein«, murmelte der Professor erstaunt. Denn der zeitliche Abstand zwischen beiden Wagen hätte ausgereicht, das Tor zwischendurch zu schließen.
Nicole wandte sich um und spähte nach hinten.
»Ein ziemlich dicker, älterer Mann«, erkannte sie. »Vielleicht gehört er zum Personal.«
Zamorra verzichtete auf eine Antwort und ließ den Wagen, immer noch mit trotz Tageslicht aufgeblendeten Scheinwerfern, weiter über die breite Kiesstraße rollen. Links und rechts zogen sich weitausgedehnte Parkanlagen hin. Für Lieferanten mußte es wohl eine andere Zufahrt geben; Zamorra konnte sich ausrechnen, daß die schweren Räder eines Klein-LKW den Kiesbelag nicht unerheblich aufwühlen würden. Immerhin sah diese Straße sehr dekorativ aus.
Vor dem großen Gebäude schließlich stoppte er ab. Nicole nickte anerkennend. Das Landhaus, besser die Prunkvilla in ihrer zweigeschossigen Bauweise, gefiel ihr ebensogut wie bei ihrem ersten Besuch. Sie stieg aus. Auch der Professor verließ den großen Wagen und sah interessiert dem Mann in gestreifter Livree entgegen, der jetzt die breite Treppe herabkam. Der Butler.
Doch dann kam die Ablenkung. Knatternd und dröhnend orgelte der Fiat-Kombi heran, bremste quietschend, und dann erstarb der Motor mit explosionsartigen Vorausgeräuschen. Der dicke Mann quälte sich vom Fahrersitz des Wagens, dessen Farbe unbestimmbar war.
Zamorra hob erstaunt die Brauen. Anerkennend nickte er dem Fahrer zu. »Wie schaffen Sie das, daß er noch fährt?« fragte er. Der Wagen wurde, wenn man genau hinsah, eigentlich nur noch vom Rost zusammengehalten. Eine intensiv blaue Abgaswolke verzog sich nur allmählich, und das Metall des Wagens knackte verdächtig, als es sich abkühlend zusammenzog.
»Ich trete aufs Gaspedal«, gab der Dicke die einleuchtende Erklärung.
Zamorra schmunzelte. Der Butler war inzwischen herangekommen und nickte dem Kombi-Fahrer zu. »Wir freuen uns, daß Sie doch noch wiedergekommen sind, Dottore«, brummte er, blieb dann vor Zamorra und Nicole stehen und deutete eine Verneigung an..
»Willkommen«, sagte er. »Mademoiselle Duval, Monsieur Zamorra - wenn Sie mir bitte folgen wollen?«
»Wir wollen«, erklärte Nicole und setzte sich in Bewegung. Der Dicke war schon vorausmarschiert.
Über die breite Marmortreppe erreichten sie den Eingang des Hauses. April Hedgeson kam ihnen entgegen. Sie begrüßte die beiden Ankömmlinge herzlich.
»Ihr kommt spät«, sagte sie. »Seid ihr unterwegs liegengeblieben?«
Nicole schüttelte den Kopf. »Mein Chef hatte die Idee, einen alten Bekannten zu besuchen, der nach Kaltem umgezogen ist. Deshalb die Verspätung. Was sagt dein Vater?«
April lachte hell auf. »Er hat mir versprochen, euch wenigstens einen guten Tag zu wünschen. Aber nun kommt herein. Er wartet wahrscheinlich schon.«
»Wartet darauf, mich die Treppe hinunterzu…«, murmelte Zamorra. Nicole versetzte ihm einen leichten Boxhieb in die Rippen. »Sei endlich von dieser dämlichen Treppe still!«
Sie betraten endgültig das Haus, durchquerten die große Eingangshalle und erreichten ein ebenso großes Zimmer, in dem sich zwei Männer gerade begrüßten: Lord Hedgeson und der Dicke.
»Wer ist das eigentlich?« fragte Nicole und blieb an der Tür stehen. April wandte sich um. »Der Rollmops? Das ist Vincenco Glianti, der Arzt. Er ist quasi für den ganzen Bezirk hier zuständig und einigermaßen gut mit uns befreundet. Habt ihr sein Vehikel schon gebührend bestaunt?«
»Den
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