Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
013 - Das Milliarden-Heer

013 - Das Milliarden-Heer

Titel: 013 - Das Milliarden-Heer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Stahl
Vom Netzwerk:
eben, was sie von ihren Opfern übrig ließen. Oft nicht genug, dass der Aufwand eines Begräbnisses noch lohnte.
    Trotzdem hatte Hallstein noch jeden Leichnam und alle Überreste bestattet »verscharrt« mochte der treffendere Ausdruck sein; seine Kräfte genügten längst nicht mehr, um richtige Gräber auszuheben. Er fand, dass er den Opfer diesen letzten Dienst irgendwie schuldig war. Denn er fühlte er sich mitschuldig an dem, was geschehen war und noch immer geschah und vielleicht nie enden würde.
    Auf seine ganz eigene Weise sah Gunnar Hallstein sich selbst letztlich auch nur als Opfer der Umstände und Entwicklungen. Mit dem Unterschied, dass er es lange Zeit nicht gemerkt hatte und dass es ihn nicht das Leben kostete. Was wiederum ein schlimmeres Los sein mochte als ein zwar grausamer, aber nichtsdestotrotz schneller Tod.
    Doch sie verschonten Gunnar Hallstein. Das war es zumindest, was er anfangs und etliche Jahre lang gedacht hatte. Inzwischen hatte er umgedacht - sie verschonten ihn nicht, sie verschmähten ihn.
    Vielleicht lag es daran, dass der Professor keine Angst hatte, sein Haus zu verlassen und durch die Stadt zu gehen.
    Wann immer er es tat, konnte er zwar ihre Nähe spüren, und manchmal sah er auch, wie sie in den Schatten umher huschten. Vor allem aber hörte er sie, ihre harten Krallen und Klauen aus Chitin, die über das Pflaster klickten und kratzten, und eine Art zischelnden Chor, als unterhielten sie in einer eigenen Sprache.
    Aber sie kamen dem Professor nie so nahe, dass er sie wirklich erkannt hätte.
    An der Furcht vor dem Flammenwerfer konnte es nicht liegen; vor zwei Jahren schon hatte Hallstein den letzten Benzinvorrat verbraucht, den die Stadt hergab.
    In all den Jahren hatte er sich kein echtes Bild von seinen chitingepanzerten Freunden machen können. Wenngleich es ihn - und da flackerte eben doch noch der alte Forschergeist in ihm - brennend interessiert hätte! Was hatte Mutter Natur mit ihrer größten Brut getan, um sie resistent zu machen für diese »neue« Welt?
    Natürlich, einige Erkenntnisse hatte Hallstein gewinnen können, ohne »Studien am lebenden Objekt« vornehmen zu müssen. Immerhin hinterließen sie neben ihren Opfern auch andere Spuren, aus denen ein kundiges Auge Schlüsse ziehen konnte. Und unter anderem hatte der Professor sogar einen aufgegebenen »Nistplatz« ausfindig machen und untersuchen können.
    Das Bild, das sich aus all diesen Hinweisen ergab, war, gelinde ausgedrückt, erschreckend.
    Und Gunnar Hallstein hielt es akribisch fest, zeichnete jedes Detail mit Worten nach.
    Mittlerweile umfasste seine Dokumentation ihrer Entwicklung mehrere hundert Seiten, die er sorgsam imprägnierte und verwahrte für…wen auch immer. Vielleicht wurden seine Aufzeichnungen ja irgendwann einmal von jemandem gefunden, der sie zu lesen und Nutzen daraus zu ziehen verstand.
    Und wenn nicht, dann hatte die Schreiberei zumindest den Zweck erfüllt, Hallstein die Zeit zu vertreiben und den schleichenden Prozess des Verrücktwerdens aufzuhalten.
    Den größten Teil seiner Zeit brachte Professor Hallstein am Schreibtisch zu, vor der altertümlichen mechanischen Schreibmaschine, die schon vor dem Einschlag des Kometen eine Antiquität gewesen war. Papier und einen kleinen Vorrat an Farbbändern hatte Hallstein auf einem seiner Streifzüge im Lager der einstigen Schreibwarenhandlung Uchtmann & Maresch an der Pontstraße gefunden, darüber hinaus noch Mittel, mit denen er die beschriebenen Blätter behandeln konnte, um sie vor späterem Zerfall zu bewahren.
    Schreibtisch und Schreibmaschine befanden sich in einer Dachkammer von Hallsteins Haus. Durch das Erkerfenster fiel der Blick hinüber zum Dom, auch wenn er des steten Dämmerlichts wegen, das sich nur mit dem Dunkel der Nacht abwechselte, nie richtig deutlich zu sehen war. Das gewaltige und immer noch beeindruckende Bauwerk blieb bei Tage ein kompakter Schatten ohne Tiefe, der nachts mit der Dunkelheit verschmolz und anderntags wieder auftauchte wie ein Bild, das dort drüben aus dem Nichts hinprojiziert wurde.
    Und manchmal fühlte sich Gunnar Hallstein beobachtet aus der Richtung des Domes. Als versteckten sie sich in diesem kantigen Schattengebilde, um ihn aus Milliarden von Augen anzustarren - oder zu studieren; gerade so wie die Menschen es dereinst mit ihnen getan hatten, durch das Okular eines Mikroskops.
    Zwei Augen sahen Hallstein aus dem Glas des Fensters entgegen. Zwei unendlich müde Augen; diesen Eindruck

Weitere Kostenlose Bücher