013 - Das Milliarden-Heer
flachen Händen streifte er sie ab und führte dabei einen irren Veitstanz auf, um zu verhindern, dass sie umgehend einen zweiten Versuch starteten.
Seit dem Angriff auf Aruula waren kaum mehr als drei oder vier, allerhöchstens fünf Sekunden vergangen. Dennoch hatte die kurze Zeit diesem chitingepanzerten Heer genügt, das Terrain ringsum vollkommen für sich einzunehmen.
»Wir müssen weg!« Aruula keuchte die Worte, derweil sie ähnlich herum hüpfte wie Matt, damit die kleinen Biester nicht an ihr hochklettern konnten.
»Was du nicht sagst!«, gab Matt ungewollt bissig zurück. Er deutete in die Richtung, wo sie den Frekkeuscher angeleint hatten, vielleicht zehn Meter entfernt.
In komisch anmutenden, weit ausgreifenden Sätzen hetzten sie auf die Riesenheuschrecke zu. Und Matt musste feststellen, dass er sich zuvor keineswegs getäuscht hatte - die Insekten waren überall! Sie bedeckten jeden Fußbreit Boden. Es war ein Gefühl, als liefe er über eine Schicht aus Popcorn oder Erbsen. Er konnte spüren und hören, wie die Tiere unter seinen Sohlen zerplatzten.
Und wie mit einem Extrasinn registrierte er, dass sich jedes Loch, das er in diesen lebenden Teppich trat, sofort wieder flüsternd und raschelnd schloss, kaum dass sein Fuß sich wieder gehoben hatte.
Der Frekkeuscher stand noch an der Stelle, wo sie ihn zurückgelassen hatten.
Das Getier ringsum beunruhigte die Riesenheuschrecke zwar, aber es wurde offenbar nicht angegriffen, zumindest nicht in dem Maße wie Matt und Aruula.
Die Viecher schienen es vornehmlich auf menschliche Beute abgesehen zu haben.
Aruula sprang aus vollem Lauf und landete mit einem geradezu artistischen Satz auf dem Rücken des Frekkeuschers.
Matt folgte ihr weniger elegant und nahm hinter ihr Platz.
Die Kriegerin schwang ihr Schwert und durchtrennte die Leine, mit der sie das Tier angebunden hatten. Dann trieb sie den Frekkeuscher an und ließ ihn einen Sprung vollführen, der sie gut fünfzehn Meter weit trug.
Matt wollte aufatmen, aber es blieb beim Wollen.
Weil es noch nicht vorbei war. Er hatte ihre winzigen Angreifer unterschätzt.
Unter ihnen bäumte sich der Boden förmlich auf. Verwandelte sich in einen schwarzen Ozean, der brodelte wie von einem imaginären Sturm gepeitscht.
Wogen aus zäher Finsternis stiegen auf, meterhoch, verwandelten sich in monströse Tentakel aus wimmelndem Chitin, die sich nach ihren Opfern reckten und streckten.
Es konnte kein Entkommen geben. Nicht vor einem Gegner, dessen Übermacht sich nicht in Zahlen fassen ließ.
Und dessen Möglichkeiten die Grenzen alles Vorstellbaren sprengten.
***
Aachen, 2018
Der dumpfe Laut, mit dem das große Bronzeportal zufiel, hallte im Inneren des Domes wieder, rollte wie Donner durch das altehrwürdige Gemäuer, und Professor Hallstein fühlte sich fast an jenes Geräusch erinnert, mit dem seinerzeit nach dem Kometeneinschlag die Druckwelle auf Aachen zugerast war.
Carl Ranseier indes lehnte sich mit dem Rücken und gespreizten Armen gegen die so genannte Wolfstüre, durch die sie den Westbau des Domes betreten hatten, als gelte es, das Tor zuzuhalten. Damit ihnen nicht folgen konnte, was immer sich dort draußen im Dunkeln herum trieb.
Aber was es auch gewesen war, das die Ratte in zwei Hälften zerrissen hatte, es versuchte nicht ihnen nachzukommen. Es schlug nicht gegen das Portal, kratzte nicht mit Krallen daran.
Natürlich nicht! ermahnte sich Hallstein in Gedanken. Weil es nur…eine andere Ratte gewesen war, die ihrem Artgenossen den Garaus gemacht hatte.
Er verdrängte die Schreckensbilder, die ihm draußen noch in den Sinn gekommen waren. Er widersetzte sich der Furcht, die Ranseiers Spinnereien von einem unheimlichen Sensenmann in ihn gesät hatten. Er besann sich der Macht der Vernunft, und es gelang ihm, beinah zu seiner eigenen Überraschung, ziemlich gut.
Ja, es war eine Ratte gewesen, die über eine andere hergefallen war. Sie musste schlicht und ergreifend größer und stärker gewesen sein als das getötete Tier.
Ein ganz normaler Vorgang im Grunde genommen, völlig natürlich - denn zumindest die Natur und ihre Gesetze galten noch etwas in dieser Zeit und Welt.
Und genau darauf besann sich Gunnar Hallstein.
Es bestand kein Grund mehr zur Angst. Die Ratten würden ihnen nichts tun. Mochten sich die Nager auch peu a peu zu einer Plage nie gekannten Ausmaßes entwickeln, so waren sie doch noch weit davon entfernt, eine ernsthafte Bedrohung für Menschen darzustellen.
Und
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