013 - Das Milliarden-Heer
unwesentlich helleren Nachthimmel ab.
Als sie den Kamm fast erreicht hatte, begann sich Maddrax, den sie immer noch geschultert trug, stöhnend zu regen.
Sie setzte ihn behutsam ab, sah, wie seine Lider flatterten. Es dauerte eine gute Minute, bis er die Augen endgültig aufschlug, und eine weitere verging damit, dass Aruula ihm beachtete, was passiert war.
Ihre Worte genügten, Matts eigene Erinnerung an die Geschehnisse schlagartig wachzurufen. Er richtete sich hastig in eine sitzende Position auf, verzog schmerzhaft das Gesicht ob der heftigen Bewegung, schaute sich aber trotzdem gehetzt nach allen Seiten um. Aruula legte ihm besänftigend die Hand auf die Schulter. »Keine Sorge, sie sind uns nicht gefolgt«, sagte sie und fügte nach kurzem Innehalten hinzu:
»Glaube ich jedenfalls.«
Matt schenkte ihr einen zweifelnden Blick, sah noch einmal um sich und schien dann zumindest einigermaßen beruhigt. Erst jetzt schien ihm seine Verletzung bewusst zu werden. Vorsichtig wollte er nach der Wunde tasten, doch Aruula hielt seine Hand zurück. »Nicht anfassen«, warnte sie ihn.
»So schlimm?«, fragte Matt mit schiefem Grinsen.
»Nein, aber die Wunde könnte wieder aufbrechen.«
»Okay.« Matt stand umständlich auf. »Wo sind wir eigent…?«, begann er, stockte aber und fragte stattdessen: »Wie komme ich hierher? Hast du mich etwa den ganzen Weg…?«
Das Mädchen nickte, sagte radebrechend: »Aruula staaark!«, setzte eine Reihe gutturaler Laute hinterher und trommelte mit den Fäusten gegen ihre Rippenbögen wie ein Gorilla, der Eindruck schinden wollte. Dann lachte sie, als sie Matts verdutztes Gesicht sah, und er fiel mit ein.
Das taten sie viel zu selten, fand Aruula: gemeinsam lachen oder schlicht nur Freude empfinden. Und sie musste nicht in Maddrax' Kopf lauschen, um zu wissen, dass er in diesem Moment dasselbe dachte.
Nur, sie hatten eben auch wenig Grund zum Lachen. Meistens konnten sie abends einfach nur aufatmen, weil sie den Tag überlebt hatten - und hoffen, dass sie den nächsten Morgen erlebten. Matt ging die paar Schritte zum Hü- gelkamm hinauf. Sein Blick fiel auf der anderen Seite des Hanges in eine weite Senke. Tiefe Nacht lag über dem Tal, schmiegte sich wie schwarzes Tuch um eine weitläufige Formation kantiger Konturen, aus deren Mitte etwas aufragte wie eine Nadel, die für Titanenhände geschaffen war.
Matthew glaubte zu wissen, wo sie sich befanden. Er war zwar noch nie hier gewesen, aber er hatte sich als Pilot einer US-Militärbasis in der Nähe von Berlin über die Geografie Deutschlands eingehend informieren müssen. »Aachen«, sagte er. »Das muss Aachen sein. Gott sei Dank; dort finden wir bestimmt ein neues Transportmittel. Komm, wir…«
Er verstummte, als Aruula neben ihn trat, und wandte ihr alarmiert den Blick zu. Sie zitterte am ganzen Leib, und der Dunkelheit zum Trotz konnte er sehen, wie bleich sie geworden war. Aus großen Augen blickte sie in Richtung der Stadt, im Gesicht einen Ausdruck, als sähe sie etwas ganz anderes als er - etwas Schreckliches…
»Was ist mit dir?«, fragte er besorgt. Ihre Stimme klang leise, fast tonlos.
»Dort unten ist etwas…zwischen den Häusern«, wisperte sie. »Etwas unglaublich Machtvolles…«
***
Es erwachte.
Und das Leben, die Welt selbst stürzte auf das Wesen ein, mit solcher Macht, dass es sich wie unter Schmerzen wand und im Reflex versuchte, all seine Sinne abzuschalten, um diesem Chaos nicht länger ausgeliefert zu sein.
Es gelang ihm nicht. Weil es seine Sinne nie zuvor benutzt hatte und nicht wusste, wie sie zu kontrollieren waren.
Irgendwann ließ der Sturm der Eindrücke nach. Einzelne Bilder kristallisierten sich aus dem Wirbel heraus, und schließlich hörte die Welt auf, sich in wahnsinnigem Tempo zu drehen.
Ruhe kehrte ein. Eine Stille, aus der das Wesen Laute heraus zu filtern lernte. Auf diese Weise erfuhr es den Unterschied zwischen nah und fern. Es hörte laute und leise Geräusche, deutlich und weniger klar.
Und die lautesten verursachte es selbst. Mit seinem Körper und dessen Gliedern. Jede Bewegung verursachte ein Geräusch und löste eine neue Empfindung aus.
Wieder verging Zeit, in der das Wesen seine Körperfunktionen kennen lernte - und noch eine Feststellung machte: All das Wissen, das nötig war, um diesen Körper zu steuern, befand sich in ihm. Es hatte nur noch keinen Zugriff darauf, nicht auf das komplette Wissen. Aber die Menge dessen, was sich ihm offenbarte, mehrte sich mit
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