0136 - Clan der Vampire
sich dicht an der Wand, dort, wo die Stufen nicht unter ihm knirschen konnten. Er fühlte sich sicher, ahnte nicht, daß sein lautloses, unheimliches Eindringen beobachtet worden war. In dieser Sekunde bereits huschte jemand um das Haus und suchte nach einer Möglichkeit, ebenfalls einzudringen. Doch für dieses Wesen waren die Türen verschlossen, nur schwer überwindbare Hindernisse…
Oben befand sich abermals eine Tür, die die Etagenwohnung gegen das Treppenhaus abschloß. Der Vampir blieb stehen, eng an die Wand gepreßt, und lauschte mit seinen nichtmenschlichen Sinnen ins Innere der Wohnung. Tief sog er die Eindrücke in sich hinein.
Blut!
Es war nur eine Person in der Wohnung, stellte er fest. Seine Hand legte sich auf die Klinke, drückte sie nieder. Die Etagentür war nicht abgeschlossen. Knarrend schwang sie auf.
Der Vampir trat ein…
***
Mit gelöschten Scheinwerfern war der Landrover der einsamen Gestalt fast lautlos durch die Straßen gefolgt, immer so weit zurück, daß der Vampir den Verfolger nicht bemerkte. Selten kam es zum Sichtkontakt, Der Japaner Akuna begriff nicht, auf welche Weise die Frau auf dem Beifahrersitz mit einer solch unglaublichen Sicherheit wußte, wo sich der gegnerische Agent jeweils aufhielt. Diese Tanja Semjonowa war ihm unheimlich. Irgendwo in den Tiefen seines Unterbewußtseins warnte ihn etwas, schrie, er solle die Flucht ergreifen, sie aus dem Wagen stoßen, verschwinden. Doch etwas hielt ihn davon ab. Die Frau war ruhig und überlegen und gab in keiner Sekunde das Heft aus der Hand. Auch dies war für Akuna ungewöhnlich, in dessen Kulturkreis Frauen nur eine untergeordnete Rolle spielen.
»Stop!« befahl sie plötzlich und stieg aus. Akuna sah, wie sie die Straße entlanghuschte und plötzlich neben einem Haus verschwand. Er versuchte zu erkennen, wo sie untergetaucht war, aber er konnte es nicht sehen. Seine Augen waren im Dunkeln nicht scharf genug. Auch der Unheimliche, der fremde Vampir, war verschwunden. Akuna hatte ihn nur zweimal während ihrer Verfolgung gesehen.
Etwas mußte in dem Hotel vorgefallen sein, sonst wäre der Vampir nicht so gehetzt aufgetaucht und wieder verschwunden. Die Semjonowa schien genau zu wissen, was vorgefallen war. Dies ging zumindest aus einigen ihrer Andeutungen hervor, doch sie verriet nichts, Akuna fragte sich erneut, woher sie es wußte. Las sie Gedanken? Verfolgte sie den Vampir auf telepathischem Weg?
Plötzlich war sie wieder am Wagen und öffnete die Tür. Er rieb sich die Augen, hatte nicht gesehen, daß sie sich genähert hatte.
»Er ist im einundzwanzigsten Haus von hier aus verschwunden«, sagte sie leise. »Warte hier. Ich versuchte, auf normalem Wege einzudringen, doch die Türen sind verschlossen. Er muß eine andere Methode angewandt haben, die ich nicht beherrsche. Greife nur ein, wenn du meinen Ruf vernimmst.«
Er beugte sich hinüber, griff nach ihrer Hand, um sie festzuhalten. Die Berührung durchfuhr ihn wie ein elektrischer Schlag. »Rede! Wie willst du ihm folgen? Warum kann ich nicht direkt folgen?«
Sie sah ihn prüfend an. »Gut«, erwiderte sie schließlich. »Du kannst mir nur indirekt helfen, denn der Weg, den ich benutzen werde, ist auch dir versperrt. Doch es mag sein, daß ich Unterstützung brauche, denn die Art seines Eindringens beweist mir, daß er kein normaler Vampir ist, daß er andere Kräfte besitzt, die vielleicht so stark sind wie die meinen, vielleicht auch stärker. In diesem Fall brauche ich deine Rückendeckung. Dann wirst du meinen Ruf hören. Du wirst zu dem Haus fahren und mich aufnehmen, wenn ich fliehen muß. Doch du mußt schnell sein, so schnell, wie nie zuvor in deinem Leben. Oder wir werden beide unser - unsere Existenz verlieren.«
Er erblaßte. Es war ihm deutlich aufgefallen, daß sie kurz gestockt hatte. Das Wort »Leben« war nicht über ihre Lippen gekommen. Sie sprach von »Existenz«.
»Einundzwanzig Häuser, und du wirst im Innern sein«, murmelte er. »Wie kann ich dich dann rufen hören? So laut kannst auch du nicht schreien!«
»Du wirst den Ruf hören«, beharrte sie. »In deinem Geist, und du wirst wissen, was zu tun ist. Jetzt aber muß ich handeln, ehe es zu spät ist.« Sie löste sich aus seinem Griff und glitt wieder davon, eigentümlich rasch, rascher, als er jemals einen Menschen hatte laufen sehen. Es war, als gälten die Gesetze der Schwerkraft nicht für sie, als eile sie über die Oberfläche des Mondes. Weite, gazellenhafte Sprünge ließen
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