0139 - Im Land des Vampirs
sich auf dem Kutschbock fest, um nicht abgeworfen zu werden. Der leichte Wagen mit der grünen Plane schwankte von einer Seite zur anderen, und ich setzte alles daran, um an den Gaul heranzukommen.
Ich holte auf.
Jetzt entdeckte mich die Kleine. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich den Blick nach links gedreht und sah die großen, dunklen Augen. Ich rannte schneller.
Schon befand ich mich neben dem Pferd. Der Zügel schleifte zum Glück auf meiner Seite am Boden. Ich legte noch mehr zu, wagte einen gewaltigen Sprung und bekam den Zügel zu fassen.
Hart riß ich daran.
Der Gaul wieherte schrill auf, warf seinen Kopf hoch, doch er dachte nicht daran, stehenzubleiben.
Im Gegenteil, er mobilisierte noch mehr Kräfte und jagte weiter.
Dabei verlor ich nach diesem plötzlich Ruck den Halt, fiel hin, konnte mich in einer Schräglage fangen und wurde weitergeschleift. Ich bekam den Staub zu schlucken, bewegte meine Beine, und es gelang mir, das Tempo des Pferdes zu halten.
Ein kleiner Erfolg!
Hinter mir hörte ich das Mädchen schreien, die Stimme forderte mich, ich setzte noch mehr Kraft ein, riß an dem Zügel, und ich bekam den Gaul unter Kontrolle.
Er wurde langsamer.
Ein paarmal warf er noch seinen Kopf von einer Seite zur anderen. Seine Mähne fuhr durch mein Gesicht, aber ich hielt weiterhin eisern fest.
Schließlich senkte das Tier seinen Schädel, schnaubte, so daß mir weiße Schaumflocken um die Ohren flogen, und blieb still stehen.
Als wäre nichts geschehen, begann es, an dem am Wegrand wachsenden Gras zu rupfen.
Ich ließ die Zügel los.
Der Gaul ging keinen Schritt weiter.
Erschöpft und ziemlich außer Atem blieb ich erst einmal stehen.
Noch jetzt zitterten mir die Knie. Nein, ein Westernheld war ich doch nicht. Mit dem Handrücken wischte ich mir den Schweiß aus der Stirn und drehte mich langsam um.
Das Mädchen saß auf dem Bock. Noch immer war das schöne Gesicht von der Angst gezeichnet, aber die großen, dunklen Augen schauten mich dankbar an.
Ich lächelte.
Auch in dieser Zeit, brach das Lächeln das Eis, das noch zwischen uns lag. Das Mädchen lächelte zurück, und aus ihrem Blick las ich Vertrauen.
»Ich danke Euch«, sagte sie mit einer hellen, klaren Stimme.
Ich hob die Schultern. Sprechen konnte ich kaum, da ich immer noch nach Atem rang.
»Wenn Ihr nicht gewesen wärt, Fremder, dann…« Sie brach ab und hob die Schultern.
Ich winkte ab und wollte schon sagen, eine meine leichtesten Übungen, doch mir fiel rechtzeitig ein, daß diese Bemerkung wohl nicht in die Zeit paßte und das Mädchen sicherlich nicht viel damit anfangen konnte.
»Es war nicht so schlimm«, sagte ich deshalb.
»Ihr seid fremd hier, nicht?«
»Ja.«
»Dann wißt Ihr sicherlich nicht, was Ihr auf Euch genommen habt, mein Herr. Wer sich mit uns abgibt, der wird gemieden wie die Pest.«
Sie hatte uns gesagt! War noch jemand da? Ich wollte darauf eingehen, als das Mädchen sagte: »Steigt zu mir auf den Bock, Fremder. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr ein Stück mitfahren.«
Die Einladung nahm ich gern an.
Ich bedankte mich mit einem Nicken. »Und wohin soll die Reise gehen?« erkundigte ich mich.
Sie deutete nur nach vorn.
»Du hast kein Ziel?«
»Nein, ich – wir sind heimatlos.«
Wieder sprach sie in der Mehrzahl, konnte aber nicht danach fragen, denn das Mädchen wechselte das Thema.
»Ich bin Ilona«, sagte sie.
»Ein schöner Name.«
Sie lächelte und nahm die Zügel auf. Geschickt ließ sie sie auf den Rücken des Pferdes klatschen. »Und wie ist Euer Name, Fremder?«
»John Sinclair!«
»Das klingt so fremd.«
»Ich bin auch nicht von hier.«
Sie nickte verstehend. »Sicher seid Ihr ein bedeutender Mann. Nach dem langen Krieg sind sehr viele Fremde in dieses Land gekommen. Ich bin auch nicht von hier. Wir stammen aus dem Land der Magyaren, haben aber auch in Transsylvanien gelebt.«
Da horchte ich auf. Transsylvanien ist das Land der Vampire, die Heimat von Vlad Dracula, dem Obervampir, wenn ich ihn mal so nennen darf. Skeptisch warf ich der jungen Schönen einen Blick zu.
Hatte sie doch etwas mit Vampiren zu tun?
Allerdings machte sie nicht den Eindruck, und auch an ihrem Hals sah ich keine Bißstellen, das hatte ich bereits festgestellt.
Wir schwiegen die nächsten Minuten.
Das Pferd trabte. Ich schaute nach links, wo der Strom träge durch das breite Flußbett strömte. Die Bergspitzen waren noch zu erkennen. Der letzte rötliche Widerschein des vergehenden Tageslichtes
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