0139 - Wo der Werwolf lauert
möglich nach Rumänien.
Um etwas über Bill Fleming und Nicole Duval zu erfahren, dazu wäre Zamorra sogar mit beiden Beinen in die Hölle gesprungen. Er ahnte nicht, daß er nicht weit davon entfernt war.
Denn das Telegramm hatte ihm einer der obersten Paladine der Hölle geschickt. Beau Gunod oder der Schöne Gunodescu.
***
Noch ein anderer war vom Schicksal dazu ausersehen, in der bevorstehenden Auseinandersetzung zwischen den Kräften des Lichts und denen der Finsternis eine Rolle zu spielen. An diesem heißen Augustnachmittag wanderte eine ungewöhnliche Erscheinung durch den Karpaten-Bergwald, von Tirgu Ocna dem Dorf Dragoviste zu.
Der Mann war ein Landstreicher mit einem zottigen Haar- und Bartgestrüpp, das von seinem Gesicht nur wenig freiließ. Eine große rote Nase ragte daraus hervor. Die Augen funkelten pfiffig. Joppe, Hemd und Hose des Landstreichers waren so oft ausgebessert worden, daß sie fast nur noch aus Flicken bestanden.
Der speckige Hut wies eine Form auf, die jeden Hutmacher und Modefan entsetzt hätte. Die Schuhe waren uralt und ausgelatscht. Man konnte nicht übersehen, daß der etwa mittelgroße Mann einen beachtlichen Spitzbauch vor sich hertrug.
Er hatte ein rotes Tuch um den Hals geschlungen und einen alten Rucksack auf den Rücken geschnallt. Mit der Rechten schwang er beim Marschieren einen derben Knotenstock.
»Mein idealer Lebenszweck, ist Sauerkraut und Schweinespeck«, so sang und pfiff er lustig die Melodie aus dem Zigeunerbaron vor sich hin.
Trotz seines zerlumpten Äußeren und der Tatsache, daß er nur drei Lei, also knapp 0,75 DM, sein eigen nannte, wirkte der Landstreicher keineswegs bedrückt oder niedergeschlagen. Er war im Gegenteil so munter und vergnügt, als ob ihm die ganzen Karpaten gehörten.
So sah er es auch an. Die ganze weite Welt und die Menschen darin waren nach seiner Ansicht dazu erschaffen, um ihm auf seinen Wanderungen einen Zeitvertreib und natürlich auch das Lebensnotwendige zu bieten. Gelgentlich gab es einmal Ärger und Scherereien, aber das nahm der Landstreicher nicht weiter krumm.
Verhungert war er noch nie, wie er zu sagen pflegte, und einen guten Tropfen hatte er ebenfalls so gut wie immer gefunden. Manchmal auch eine dralle Magd, die ihn mit in die Kammer oder auf den Heuschober nahm.
Der Wald lichtete sich. Bis nach Dragoviste waren es nur noch anderthalb Kilometer. Auf einer Hangwiese am plätschernden Bach sah der Landstreicher eine Herde von über zweihundert Schweinen. Sie tollten umher, lagen da, wälzten oder suhlten sich. Ihr Grunzen war weithin zu hören. Im Wald tummelten sich weitere Hausschweine und fraßen Eicheln und Bucheckern.
Der Landstreicher hatte das Grunzen schon eine Zeitlang gehört. Nun schaute er nach dem Sauhirten aus, den zwei Hütebuben und ein Hund bei seiner Arbeit unterstützten.
Da kam der Sauhirt auch schon aus dem Wald, ein quietschendes Ferkel unter dem Arm. Die Bache lief hinter ihm drein und grunzte und quiekte.
Der Landstreicher pfiff schrill auf zwei Fingern. Sofort schaute der Sauhirt auf, erkannte ihn und winkte ihm zu. Eilig stieg der Landstreicher von der unbefestigten Straße zu ihm hinunter. Der Sauhirt gab das Ferkel dem einen Hütejungen, einem sommersprossigen Rotschopf von etwa zwölf Jahren.
Auf seinen Hütestab mit der kleinen Schaufel und dem Haken am Ende gestützt, erwartete der Schweinehirt den Landstreicher. Die Kleidung des Sauhirten war nicht weniger zerlumpt und bunt wie die des Landstreichers. Während der letztere aber nur nach seinem eigenen Schweiß und Körpergeruch duftete, hatte der Sauhirt das Odeur seiner vierbeinigen Lieblinge penetrant angenommen.
»Ist denn das die Möglichkeit?« rief der Schweinehirt in seiner serbokratischen Muttersprache. »Der Gabö Frantisek! Was führt denn dich daher, du alter Schnorrer?«
»Meine Füße führen mich halt«, antwortete der Landstreicher im gleichen Dialekt. »Sie juckten immer und liefen genau in diese Richtung.«
»Solltest sie mal waschen, wenn sie jucken«, grinste der Schweinehirt von Dragoviste.
»Ei fordibscht«, sagte Frantisek Gabö auf Sächsisch, denn er war ein gebürtiger Siebenbürger Sachse, und fuhr dann Rumänisch fort: »Das werde ich meinen lieben Wandergenossen doch nicht antun. Der Körper hat eine natürliche Schutzschicht, die Schmutz und Schweiß bilden, nich? Wer sie ständig wegwäscht, schwächt die natürlichen Abwehrkräfte, Freinderl Janosz Baraschi.«
»Schön hast du das gesagt,
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