0141 - Mein Todesurteil
schweres Atmen.
Dann hob Karel den Kopf. »Kann ich sie sehen?« fragte er.
»Lieber nicht.«
»Doch, ich will es.«
Da gab ich den Weg zur Tür frei. Er betrat das Zimmer und schaute sich um. Dabei sah er das offene Fenster. Kühl wehte es in das Innere des Raumes.
»Wo ist sie?«
Ich deutete auf den Schrank.
Karel ging hin. Er zögerte noch, bevor er den Schlüssel umdrehte, während die Stumme den Raum verließ.
Dann zog Karel Marek die Schranktür auf.
Ich schaute über seine Schulter hinweg. Karel fiel auf die Knie und sah seine Schwester.
»Ilona!« stöhnte er. »Mein Gott, Ilona…«
Es ging mir durch Mark und Bein. Er warf sich über sie, weinte und schluchzte. Seine Schultern zuckten. Dieser junge Mann stand jetzt allein auf der Welt. Er hatte keinen mehr, er trug nur an einem sehr schweren Erbe.
Karel zog die Leiche seiner Schwester aus dem großen Schrank.
Vorsichtig legte er sie zu Boden.
Ich trat neben ihn und senkte meinen Blick.
Ilona sah wieder normal aus. Nichts erinnerte mehr daran, daß sie mal Vampir gewesen war. Als ich die Oberlippe zurückschob, sah ich ihre normalen Zähne. Und auf ihren Lippen lag ein kleines Lächeln.
»Wir müssen sie begraben!« flüsterte Karel.
Ich nickte.
Karel wollte nicht, daß ich ihm half. Er hob seine Schwester allein hoch, nachdem er den Pfahl weggesteckt hatte. Wortlos trug er die Tote aus dem Raum und schritt die Treppe hinunter. Irgendwo war sicherlich der Ausgang zum Burghof.
Ich dachte an die Häscher des Grafen. Wie würden sie reagieren, da ihr Herr tot war?
Das bereitete mir Sorgen.
Ich öffnete die schwere Ausgangstür, nachdem wir unten die große Halle erreicht hatten.
Kalt fuhr mir der Nachtwind ins Gesicht. Und gleichzeitig traf mich der Fackelschein.
Die Häscher hatten sich vor der Tür aufgebaut und bildeten dort einen Halbkreis. Sie hielten die Fackeln in den Händen. Der Widerschein des Feuers zuckte geisterhaft über ihre Gesichter. Doch niemand machte Anstalten, nach den Waffen zu greifen. Der Tod des Grafen schien sich herumgesprochen zu haben.
»Laßt uns vorbei«, sagte Karel Marek, »der Graf ist tot!«
Schweigend machten sie Platz. Der Wind spielte mit den Flammen der Pechfackeln. Es war ein unheimliches Bild, als wir hintereinander über den Hof schritten.
Der junge Marek wollte seine Schwester nicht in den Schloßgrüften beisetzen, sondern ihr ein richtiges Grab schaufeln. Ich hatte nichts dagegen.
Quer gingen wir über den großen Hof, auf die Mauer an der Ostseite zu. Ich merkte, wie Karel wankte, er hatte kaum noch Kraft, aber er riß sich zusammen und behielt seine Schwester auf den Armen.
Vier Fackelträger folgten uns. Sie beleuchteten den makabren Trauermarsch.
Vor der Mauer blieb Karel stehen. Vorsichtig legte er seine tote Schwester zu Boden.
»Bringt mir eine Schaufel!« sagte er.
»Zwei!« rief ich.
Die vier Fackelträger blieben stehen. Dafür verschwanden zwei andere Söldner.
Wir warteten. Niemand von uns sprach ein Wort. Der in den Burghof fallende Wind trocknete die Tränen auf den Wangen des jungen Karel Marek.
Die Söldner kamen zurück. Sie brachten zwei Schaufeln. Sie hatten breite Flächen, wir würden viel damit schaffen können. Der junge Marek fing an.
Er stieß die Schaufel in die Erde und begann zu graben. Obwohl der Kampf gegen den Vampir Kräfte gekostet haben mußte, arbeitete er wie ein Berserker. Dabei murmelte er ununterbrochen Worte vor sich hin, die ich nicht verstand.
Auch ich nahm ein Werkzeug zur Hand. Wir schufteten Hand in Hand. Die Männer schauten uns zu. Niemand sprach. Nur unser schweres Atmen war zu hören und das Klatschen, wenn der Lehm von der Schaufel rutschte und den kleinen Berg weiter vergrößerte.
Etwa eine halbe Stunde verging. Dann war das Grab tief genug für Ilona.
Beide kletterten wir aus der Grube.
Karels Gesicht wirkte wie aus Stein gehauen. Kein Muskel zuckte mehr unter der glatten Haut.
Hastige Schritte ließen uns aufhorchen. Alle wandten sich um.
Die Stumme lief über den Platz.
Sie rannte auf Karel Marek zu und drückte ihm etwas in die Hand. Es war ein kleines goldenes Kreuz. Ilona hatte es immer getragen.
»Das Erbstück der Mutter«, flüsterte Karel.
Ich konnte nicht mehr sprechen. Auch in meiner Kehle saß ein dicker Klumpen. – »Komm«, sagte Karel.
Gemeinsam hoben wir die Tote auf. Nur der Wind sang sein Lied, als wir sie in das feuchte Grab betteten.
Karel legte ihr das kleine Kreuz auf die Brust. »Damit du ewig vor
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